Ulm (ots) - Gemeinhin nehmen sich Bundespräsidenten etwas Zeit, bevor sie mit wegweisenden Worten zur Lage der Nation oder zum Zustand der Gesellschaft aufwarten. Frank-Walter Steinmeier aber hat gleich nach seiner Vereidigung ein Zeichen gesetzt, das aufhorchen ließ. Galt der bisherige Außenminister eher als abwägend und diplomatisch in Stil und Vokabular, nutzte er den Start ins neue Amt zu einem kraftvollen Aufschlag - nach außen und nach innen. So müssen dem türkischen Präsidenten die Ohren geklungen haben. Immerhin verbat sich das deutsche Staatsoberhaupt dessen Nazi-Vergleiche und verlangte von Recep Tayyip Erdogan nicht bloß den Respekt vor Rechtsstaat und Meinungsfreiheit, sondern forderte unverblümt die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel. Ein Signal, das in Ankara nicht überhört werden konnte. Wenn nicht alles täuscht, nimmt Steinmeier keine Schonzeit von 100 Tagen in Anspruch. Er braucht ja auch keine Eingewöhnung für ein Amt, das er offenbar dezidiert politisch versteht, nicht parteipolitisch, sondern in der Rolle als oberster Anwalt von Demokratie, Freiheit und Pluralismus in diesem Land. Das war auch Joachim Gauck schon, und es tut gut, wenn dessen Nachfolger diesen Faden sogleich aufnimmt - mit deutlichen Ansagen, ¬erkennbarer Leidenschaft und bürgernaher Zuwendung. Den Mut, den Steinmeier an den Tag legt, wenn er den Gegnern der Demokratie entgegentritt, wünscht sich der neue Bundespräsident auch von den Bürgern. Wohlgemerkt Mut - nicht Kleinmut angesichts von inneren Herausforderungen und nicht Hochmut gegenüber anderen Ländern und Kulturen.