Vom Verzeihen
Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen: Mit diesen Worten hat der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Corona-Pandemie aufhorchen lassen. Der Satz gilt aber nicht allein für die Pandemie.
Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen: Mit diesen Worten hat der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Corona-Pandemie aufhorchen lassen. Der Satz gilt aber nicht allein für die Pandemie.
Er beschreibt, dass derjenige nicht an den Pranger gestellt werden sollte, der in festem Treu und Glauben das Beste zu tun gedachte - selbst wenn es sich nachher als Irrweg herausstellt. Das passt auch ins aktuelle Umfeld seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Man kann nicht genau vorhersagen, welche Maßnahme welche Wirkung haben wird. Und vermutlich wird die Außen- und Verteidigungspolitik noch oft korrigiert und an neue Verhältnisse angepasst werden müssen. Ergo wird man auch in den kommenden Monaten viel verzeihen müssen.
Der Blick in die Vergangenheit schult, wie damit umzugehen ist. Im Verhältnis zu Russland ist Berlin, man weiß es heute, vor allem zwei großen Irrtümern erlegen. Erstens hat man viel zu lange auf Wandel durch Handel gesetzt. Zweitens haben alle Bundesregierungen der letzten zwei Jahrzehnte den Verteidigungsetat schleifen lassen. Nun ist klar, dass Putin die Deutschen hinter die Fichte geführt hat. Aber was helfen da platte Schuldzuweisungen? Sie machen nichts ungeschehen. Ganz abgesehen davon, dass Union, SPD, Grüne und FDP alle seit Putins Machtantritt Ende 1999 als Regierungsparteien am Ruder waren. Außerdem, mal ehrlich: Diese Politik war Konsens. Weil es billige Energie aus dem Osten gab. Und niemand wirklich eine teure Armee haben wollte. Es gilt deshalb allein, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Und so ist es in Ordnung, Fehler einzugestehen und sich zu korrigieren - wie Präsident Steinmeier. Es ist nicht in Ordnung, trotz besserem Wissen an alten Seilschaften festzuhalten - wie Altkanzler Schröder. Und es ist widerlich, zu leugnen, dass man eine verhängnisvolle Nähe zu Putin gepflegt hat, wie so manche von der AfD, die sich längst als Putins nützliche Idioten fühlen sollten.
Was das Land braucht in diesen Zeiten des Krieges, ist Einigkeit. Parteipolitische Scharmützel, wie sie CDU-Chef Merz gerne anstrengt, sind überflüssig und schädlich. Ehrliche Debatten dagegen sind gefragt. Wenn dann am Ende eine weitgehende Einigkeit steht wie nun beim Votum des Bundestags zu Panzerlieferungen an die Ukraine, dann ist das der Idealfall. Um im militärischen Sprachgebrauch zu bleiben: Es braucht die gemeinsame Front nach außen, in Deutschland, in Europa, im ganzen Westen. Wo immer das Verzeihen voraussetzt, sollte man dazu bereit sein.