Trumps Sieg als Chance?
Déjà-vu: Das Erwachen nach einer Wahlnacht, und Donald Trump feiert seinen Sieg. Am 9. November 2016 und jetzt wieder. Eine weitere Amtszeit ist Realität.
Déjà-vu: Das Erwachen nach einer Wahlnacht, und Donald Trump feiert seinen Sieg. Am 9. November 2016 und jetzt wieder. Eine weitere Amtszeit ist Realität.
Und Realität ist auch, dass mehr als die Hälfte der US-Wähler hinter dem Republikaner steht. Ungeachtet seiner gehässigen Reden, unflätigen Auftritte, Lügen-Tiraden und Strafverfahren. Nichts, so scheint es, hat seine glühenden Anhänger so darin bestärkt, ihn zu wählen, wie seine permanenten Grenzüberschreitungen. Sie nennen es Mut, Unbeugsamkeit und Stärke.
Dass diese Tour verfängt, sagt etwas über die Stimmung in den USA und über die Menschen aus, die Trump ihre Stimme gaben - sie wollten, wie ein Wähler sagt: "endlich jemanden, der aufräumt". Genau daran ist Kamala Harris offenbar gescheitert. Sie hat dem tiefen Frust und dem Gefühl, abgehängt zu sein, nichts entgegensetzen können.
Aus dieser Wahl geht Trump mit einer brandgefährlichen Machtfülle hervor. Für das Repräsentantenhaus ist das Ergebnis noch offen, aber der Senat wird auf jeden Fall künftig republikanisch dominiert. Zudem hat das oberste US-Gericht den Präsidenten erst kürzlich eine sehr weitgehende Immunität zugesichert. Die Frage ist, was der mächtigste Politiker der Welt daraus macht. Bleibt es bei seiner beinahe koketten Ansage "Ich werde Diktator, aber nur für einen Tag", oder setzt er die Welt in Flammen?
Trump wird sein Wahlvolk keinesfalls damit enttäuschen, dass er plötzlich angepasst, höflich und diplomatisch auftritt. Das ist aber auch fast schon alles, was über seine Absichten sicher zu sagen ist. Er ist in seinen Ankündigungen eratisch - Frieden in der Ukraine innerhalb eines Tages? Sollte es einen Plan für seine Aktionen geben, dann ist Unberechenbarkeit ein wesentlicher Bestandteil. Dazu gehört auch, dass niemand vorhersagen kann, ob die wüsten Drohungen in Richtung Europa und Nato-Partner bloß Paukenschläge waren oder wirklich zu politischen Handlungen führen.
Dass er mit seinem "Lieblingswort" Strafzölle nicht nur bluffen will, ist anzunehmen, aber wird er am Ende einen Handelskrieg anzetteln, in dem es nur Verlierer geben kann? Trump wird nicht ernsthaft die Bindung zur Nato lösen, aber es genügt, dass er das Bündnis in Zweifel zieht und Unsicherheit verbreitet. Oder ankündigt, die Ukraine-Hilfe zu stoppen, was dazu führen würde, Putin das Feld zu überlassen. Reichlich Zündstoff, noch bevor Trump im Oval Office sitzt.
Sein Wiedereinzug ins Weiße Haus darf nicht zur Schockstarre führen. Die Abhängigkeit der Europäer von den USA ist verteidigungspolitisch und wirtschaftlich groß, lange schon zu groß. Eine Balance herzustellen, etwa mit einer Vergemeinschaftung der Verteidigungskosten, kann nur als gesamteuropäische Aufgabe gelingen, die derzeit fast utopisch scheint. Aber unter dem Druck einer unberechenbaren US-Regierung könnte vielleicht gelingen, was bisher undenkbar war. Trump als Chance?
Das gilt auch für handelspolitische Kontakte, um Trumps Hunger auf Einfuhrzölle zu zügeln. Entscheidend ist, dass die Europäer eine Gesprächsebene mit Washington finden. Dabei wird sich der Blick auch auf Berlin richten, auf eine Regierung, die um das Überleben ringt und die dem Vorwurf, nicht auf den Wahlausgang vorbereitet zu sein, jetzt dringend etwas entgegensetzen muss. Dass es in Ausnahme-Situationen - auch auf europäischer Ebene - möglich ist, gemeinsam und entschlossen zu reagieren, hat sich nach dem Angriff auf die Ukraine gezeigt. Warum nicht auch jetzt?