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Die Kunst des Führens

Der angekündigte Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz kommt völlig unerwartet, aber in der Sache nicht ganz überraschend. Eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen hatte die Nachfolgerin von Angela Merkel an der Parteispitze und Anwärterin auf die Kanzlerkandidatur zur Bundestagswahl 2021 seit etwas mehr als einem Jahr begleitet. Im Dezember 2018 wählten sie die CDU-Delegierten in das Führungsamt. Herausforderer Friedrich Merz unterlag nur knapp. Die gespaltene Partei ist seitdem nicht zur Ruhe gekommen. Kramp-Karrenbauer misslang es, die verschiedenen Flügel zu einen. Beim Parteitag im Dezember 2019 sah sie sich genötigt, mit einer informellen Vertrauensfrage die Delegierten hinter sich zu bringen. Das Wahldebakel in Thüringen hat nun gezeigt, dass dies von kurzer Dauer war: Die frei gewählten Abgeordneten der CDU scherten sich nicht um die Direktiven aus Berlin und der Bundesvorsitzenden.

Die Uhr tickt

Die Uhr tickt. Jeden Tag sterben Menschen an Covid-19. Jeden Tag rücken Unternehmen näher an den Abgrund. Jeden Tag wanken unsere Bürgerrechte mehr. Die Regierung muss ihre Strategie anpassen, zügig und endlich auf der Basis interdisziplinärer Empfehlungen. Denn der Kosmos Corona ist komplex und braucht komplexe Reaktionen. Die Uhr tickt. Jeden Tag sehen wir neue Fakten und Kurven. Aber die Zahl gemeldeter Infektionen sagt wenig, unter anderem, weil die Tests auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit verweisen und nicht die aktuelle Lage beschreiben, und weil sie sich nicht auf die Bevölkerung beziehen, sondern vor allem auf Menschen, die Symptome zeigen.

Soziale Isolation kostet uns Lebensjahre

Der international bekannte Psychiater, Hochschullehrer und Stressforscher Mazda Adli rechnet mit einer Zunahme psychischer Belastung der Bevölkerung infolge der Corona-Krise. "Ich gehe davon aus, dass sich das spätestens nach der Pandemie auch in Zahlen zeigen wird", sagte Adli in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "In unserer Klinik haben wir während des Lockdowns einen Zulauf verzeichnet wie vor der Pandemie", erklärte der Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin, der auch den Forschungsbereichs Affektive Störungen der Charité Universitätsmedizin Berlin leitet. "Wir müssen davon ausgehen, dass viele Menschen mit ernsten psychischen Erkrankungen und Hilfebedarf in der Zeit des Lockdowns zu Hause geblieben sind und nicht den Weg zum Arzt oder in eine Klinik fanden. Die Konsequenzen daraus werden zeitversetzt zutage treten", erklärte Adli in dem Interview weiter.

Und Merkel?

Das Scheitern zu beschreiben ist eine leichte Übung. Auch bei Annegret Kramp-Karrenbauer. Da sind zunächst ihre eigenen Fehler: Das Rezo-Debakel, das sehr schnell ihre kommunikativen Schwächen offenlegte. Ihr Schlingerkurs bei der eigenen Rollenfindung - sich erst ganz der Partei widmen zu wollen, um dann doch nach dem Verteidigungsministerium zu greifen. Vor allem ihr wachsender Autoritätsverlust in ihrer Partei, der sie nach dem Orkan in Thüringen hinwegfegte. Am Ende konnte sie ihre persönliche Würde nur noch mit dem selbst gewählten Rücktritt retten. Kramp-Karrenbauer aber ist bei Weitem nicht nur an sich selbst gescheitert. Durch die Wahl eines Nachfolgers sind ja die Fliehkräfte in der Union noch nicht beseitigt, die nach der SPD auch die einzig verbliebene Volkspartei zu zerreißen drohen. Und durch die Wahl eines Nachfolgers ist der Weg ins Kanzleramt noch nicht frei.