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Berlin

Rechte Drohungen: Polizei verzichtete auf Warnung von Berliner Politiker

Die Berliner Polizei muss sich im Fall der rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie und im Zusammenhang mit dem sogenannten "NSU 2.0" offenbar ein weiteres Versäumnis vorwerfen lassen.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Regio-News.
Der Neuköllner Anschlagsserie werden mehr als 70 zwischen 2016 und 2019 begangene Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, zugerechnet.
Der Neuköllner Anschlagsserie werden mehr als 70 zwischen 2016 und 2019 begangene Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, zugerechnet.
Foto: Andreas Trojak / CC BY 2.0 (via Flickr)

Die Berliner Polizei muss sich im Fall der rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie und im Zusammenhang mit dem sogenannten "NSU 2.0" offenbar ein weiteres Versäumnis vorwerfen lassen.

Nach Informationen der Berliner Morgenpost und des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) verzichtete das Berliner Landeskriminalamt (LKA) trotz vorliegender Informationen darauf, ein jetziges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, den Linke-Politiker Ferat Kocak, vor einer etwaigen Gefährdung zu warnen.

Die Bedrohung ergibt sich aus einer E-Mail an das LKA vom März 2019, deren Absender als "NSU 2.0" firmierte. Der Verfasser beleidigte Kocak darin mit dem Nazi-Begriff "Volksschädling". Außerdem behauptete er, der "NSU 2.0" sei für einen Brandanschlag auf Kocaks Auto am 1. Februar 2018 verantwortlich. Zudem wurde in der E-Mail die private Wohnanschrift von Kocaks Familie genannt. Trotz ihres bedrohlichen Charakters wurde Kocak nicht über diese E-Mail informiert.

Die Berliner Polizei verzichtete in seinem Fall somit bereits zum zweiten Mal auf eine Warnung. Denn die Sicherheitsbehörden wussten durch abgehörte Telefonate bereits vor dem Brandanschlag auf sein Auto am 1. Februar 2018, dass zwei Neonazis Kocak gezielt ausgespäht hatten. Auch damals wurde der Linke-Politiker aber nicht über eine mögliche Gefährdung informiert.

Die Berliner Polizei verwies auf Anfrage der Berliner Morgenpost und des RBB darauf, dass mit Kocak "Sicherheitsgespräche" geführt worden seien. Laut Antwort der Behörde wurde Kocak dabei aber nur über E-Mails aus dem Jahr 2020 informiert, nicht aber über die Droh-E-Mail vom März 2019. Die Polizei verwies zudem darauf, dass die Ermittlungen zu den Drohschreiben des "NSU 2.0" durch das LKA Hessen geführt worden seien. Eine "tatsächliche Gefährdung" habe sich im Fall Kocak nicht ergeben. Das LKA Hessen habe damals dennoch zugesichert, Kocak über Mails des "NSU 2.0" zu informieren.

Kocak bekräftigte dagegen auf Anfrage, keine Information über die Droh-Mail vom März 2019 erhalten zu haben. "Dass die Polizei mich trotz des vorherigen Brandanschlages auf mein Auto nach der E-Mail vom März 2019 erneut nicht gewarnt hat, finde ich skandalös", sagte Kocak.

Unter dem Absender "NSU 2.0" verschickten Rechtsextremisten ab August 2018 weit mehr als 140 Morddrohungen an Politikerinnen und Politiker, Medien- und Kulturschaffende. Das Kürzel "NSU" spielte auf die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" an.

Der mutmaßliche Verfasser der Mails, der Berliner Alexander M., muss sich seit Februar dieses Jahres vor dem Landgericht Frankfurt am Main verantworten. Die mutmaßlichen Täter des Brandanschlags vom 1. Februar 2018 auf das Auto von Ferat Kocak, die Neonazis Sebastian T. und Tilo P., werden vermutlich ebenfalls bald vor Gericht stehen. Die Anklage der Berliner Generalstaatsanwaltschaft wurde allerdings noch nicht vollumfänglich zugelassen.

Der Neuköllner Anschlagsserie werden mehr als 70 zwischen 2016 und 2019 begangene Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, zugerechnet. SPD, Grüne und Linke verständigten sich darauf, etwaige behördliche Fehler in dem Ermittlungskomplex durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzuklären. Das Gremium soll in Kürze eingesetzt werden.

Quelle: Berliner Morgenpost