Charaktertest
Die deutsche Wirtschaft könnte es sich einfach machen: Kaum ein Dutzend Unternehmen sind in der chinesischen Provinz Xinjiang aktiv, in der das Regime aus Peking massive Menschenrechtsverletzungen begeht.
Die deutsche Wirtschaft könnte es sich einfach machen: Kaum ein Dutzend Unternehmen sind in der chinesischen Provinz Xinjiang aktiv, in der das Regime aus Peking massive Menschenrechtsverletzungen begeht.
Die Drohung mit einem Rückzug deutscher Firmen aus der Region wird die chinesischen Machthaber also kaum beeindrucken. Und damit zurück zur Tagesordnung.
So wie seit vielen Jahren. Die Bilder, Daten und Augenzeugenberichte, die in den vergangenen Tagen unter dem Titel "Xinjiang Police Files" öffentlich geworden sind, liefern eindeutige Belege für etwas, das seit Langem klar ist: Die muslimische Volksgruppe der Uiguren wird vom chinesischen Regime systematisch, rücksichtslos und brutal unterdrückt. Hunderttausende Menschen werden in Gefängnisse und Folteranstalten gesperrt - zynisch verharmlost als "Umerziehungslager". Als hätte der Versuch Pekings, eine ganze Volksgruppe zu unterjochen, irgendetwas mit Erziehung oder Bildung zu tun. Es sind erschütternde und aufrüttelnde Bilder, die nun öffentlich werden. Aber eine Überraschung sind sie nicht.
Was die jüngsten Enthüllungen auch für deutsche Unternehmen so wichtig und so wirkmächtig macht, ist, dass sie auf ein verändertes Diskussionsklima stoßen. Wegschauen ist keine Option mehr. Spätestens der russische Angriff auf die Ukraine hat die wirtschaftliche Abhängigkeit der westlichen Industrieländer von autokratischen Regimes und Diktaturen schonungslos offengelegt. Und immer weniger Menschen sind bereit, diese dunklen Seiten ihres Wohlstands hinzunehmen.
Selbstverständlich hat der Aufbau von Handelsbeziehungen und Lieferketten, die Menschenrechte und bessere Arbeitsbedingungen belohnen, einen Preis. Weshalb das Wehklagen über das deutsche Lieferkettengesetz so lautstark ausfällt. Zudem ist das Risiko für deutsche Unternehmen im Umgang mit China so groß wie mit keinem anderen Land.
Einen Rückzug aus Xinjiang hält daher etwa Volkswagen-Chef Herbert Diess für falsch. "Nationen und große Blöcke, die zum Selbstversorger werden, sind für mich ein großes Risiko einer sich abschottenden Welt", sagte er. Doch Diess' Versuch, die Menschenrechtsfrage zu einem Indiz für eine grassierende Deglobalisierung zu überhöhen und damit unternehmerische Verantwortung an die Politik zu delegieren, wird der Sache nicht gerecht. In der Haltung zu Chinas Vorgehen in Xinjiang liegt ein Charaktertest für hiesige Unternehmen: Wie hältst Du's mit den Menschenrechten, wenn die Verstöße nicht direkt vor der eigenen Haustür stattfinden?