Vor der Parlamentswahl in der Ukraine sind prorussische Parteien auf dem Vormarsch
Natalka Sniadanko ist Schriftstellerin und wählt gern klare Worte. An dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lässt die 46-Jährige aus dem westlich geprägten Lwiw kein gutes Haar: "Sein angeblich neuer Kurs erinnert eher an die guten alten Zeiten des Präsidenten Wiktor Janukowytsch, als Gesetze nur pro forma existierten und leicht ignoriert werden konnten, wenn irgendein wichtiger Mensch es wollte." Die Grenze zwischen Ironie und Sarkasmus ist fließend bei Sniadanko, aber die Quelle ihrer Kritik ist eindeutig. Eine prorussische Wende nennt sie das, was Selenskyj in Kiew veranstalte.
Natalka Sniadanko ist Schriftstellerin und wählt gern klare Worte. An dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lässt die 46-Jährige aus dem westlich geprägten Lwiw kein gutes Haar: "Sein angeblich neuer Kurs erinnert eher an die guten alten Zeiten des Präsidenten Wiktor Janukowytsch, als Gesetze nur pro forma existierten und leicht ignoriert werden konnten, wenn irgendein wichtiger Mensch es wollte." Die Grenze zwischen Ironie und Sarkasmus ist fließend bei Sniadanko, aber die Quelle ihrer Kritik ist eindeutig. Eine prorussische Wende nennt sie das, was Selenskyj in Kiew veranstalte.
Das sei "tief deprimierend". Mit ihrer Frustration ist Sniadanko, die sich 2014 für die Euro-Maidan-Bewegung engagierte, nicht allein. Sie ist aber in der Minderheit. Wenn am 21. Juli in der Ukraine ein neues Parlament gewählt wird, dann steht die Partei des neuen Präsidenten vor einem nie dagewesenen Triumph. Zum ersten Mal in der postsowjetischen Geschichte des Landes könnte eine Fraktion in der Obersten Rada eine absolute Mehrheit erringen. Umfragen sagen Selenskyjs erst Ende März gegründeter Partei "Diener des Volkes" bis zu 47 Prozent Stimmenanteil voraus.
Der 41-jährige Politneuling, der im Frühjahr sensationell vom TV-Komiker zum Staatsoberhaupt aufstieg, könnte demnach durchregieren. Allerdings weiß in Kiew niemand so recht zu sagen, was das für das Land bedeuten würde, das seit dem Ende der Sowjetunion zwischen Ost und West hin- und hergerissen ist. Frühere Staatschefs versuchten sich immer wieder in einer Schaukelpolitik, die das Beste aus beiden Welten zu erlangen versuchte. Spätestens mit der Euro-Maidan-Revolution und der Krim-Annexion durch Russland schien das Verfahren dann aber an das Ende seiner Möglichkeiten gelangt zu sein. In Kiew entschied man sich 2014 grundsätzlich für die EU. In Moskau reagierte Kremlchef Wladimir Putin mit Druck und Gewalt. So blieb es bis heute. Doch nun ist da dieser Selenskyj. Die meisten professionellen Beobachter sind noch immer unschlüssig, was sie von dem jungen Präsidenten halten sollen, der ohne echtes Programm für das höchste Staatsamt kandidierte und gewann.
Auch seiner Partei hat er einen inhaltsarmen Parlamentswahlkampf verordnet. Eine Erneuerung des politischen Systems versprechen die "Diener des Volkes", aber wie genau das passieren soll, ist unklar. Schlimmer noch: Manche Ankündigungen der Selenskyj-Partei sind doppeldeutig. Einerseits enthalten sie das Versprechen, Korruption und Oligarchie entschlossen zu bekämpfen. Man kann sie aber auch als Blaupause für einen autoritären Staatsumbau verstehen. "Wir werden einen Mechanismus einführen, Parlamentarier abzuberufen, die das Vertrauen der Wähler verloren haben", heißt es auf der Internetseite der Selenskyj-Partei. Ein Präsident, der seinen Gegnern die Immunität nimmt und sie abberufen lässt: Da werden nicht nur bei Sniadanko Erinnerungen an die Janukowytsch-Zeit wach. Der Ex-Präsident war nicht einmal davor zurückgeschreckt, seine Erzrivalin Julia Timoschenko ins Gefängnis werfen zu lassen. Dennoch ist es zu eng gedacht, in Selenskyj nur einen smarteren Wiedergänger des grobschlächtigen Janukowytsch mit seiner Boxer-Biographie sehen zu wollen. Zumal der neue Präsident zumindest vorerst keine Zweifel daran lässt, dass es mit ihm keine fundamentale Ostwendung geben werde.
Die Ukraine strebe in die EU. Allerdings sendete er mitten im Wahlkampf auch eine Videobotschaft an Putin und schlug ihm Verhandlungen vor. Man könne sogar darüber sprechen, "wem die Krim gehört". Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko hatte Gespräche über den Status der Krim stets kompromisslos abgelehnt. Der neue Präsident scheint das Tabu nun brechen zu wollen - und kommt damit bei der Mehrheit der Bevölkerung an, wie Wahlumfragen zeigen. Auf Platz zwei rangiert dort mit zwölf Prozent der Parteienblock des russischstämmigen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk. Klar westorientierte Parteien schaffen dagegen nur einstellige Ergebnisse.