Was die Türkei jetzt braucht
Es könnte der Anfang vom Ende sein. Die in der Türkei regierende Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nicht nur den Kampf um die Rathäuser in Istanbul und Ankara krachend verloren, sondern liegt auch landesweit nach den Kommunalwahlen um mehr als zwei Prozentpunkte hinter der größten Oppositionspartei CHP zurück.
Es könnte der Anfang vom Ende sein. Die in der Türkei regierende Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nicht nur den Kampf um die Rathäuser in Istanbul und Ankara krachend verloren, sondern liegt auch landesweit nach den Kommunalwahlen um mehr als zwei Prozentpunkte hinter der größten Oppositionspartei CHP zurück.
Ekrem Imamoglu, der alte und neue Bürgermeister am Bosporus, kann Kurs auf die Präsidentschaftswahl 2028 nehmen - eine Wahl, bei der Erdogan nicht mehr antreten will. Das hatte der Präsident kurz vor der Kommunalwahl angekündigt, möglicherweise ahnend, zu welchem Debakel sie für seine Partei geraten würde.
Gerade die Bürgermeisterwahl in Istanbul ist auch Erdogans persönliche Niederlage. Mit der Stadt am Bosporus war sein eigener Aufstieg verbunden, hier war er einst selbst Bürgermeister, und hier, in armen und religiös geprägten Vierteln, hatte er bis zuletzt eine wichtige Basis. Und hier lenkt nun jener Mann weiterhin die Stadtverwaltung, den Erdogans willige Richter 2022 mit einem Politikverbot aus dem Weg zu räumen versuchten. Dass das eben nicht gelang und dass Imamoglu und viele andere Erdogan-Gegner triumphale Wahlergebnisse einfahren konnten, zeigt, wie stark die türkische Demokratie immer noch ist. Trotz aller Manipulationen des Möchtegern-Sultans von der AKP.
Die Wahl in Istanbul ist noch aus einem weiteren Grund aufschlussreich. Imamoglu siegte offenbar auch, weil die starke kurdische Minderheit in Istanbul zum überwiegenden Teil taktisch wählte - CHP eben statt der kurdischen DEM. Viele Kurden stimmten damit für eine Partei, bei der ihre Interessen in der Vergangenheit denkbar schlecht aufgehoben waren. Ist die CHP doch die Hüterin eines türkischen Nationalismus, in dem ethnische Minderheiten keinen Platz haben - ob Kurden, Armenier oder Araber. Jetzt, angesichts des von Erdogan angerichteten wirtschaftlichen Desasters, seiner Islamisierungspolitik und seiner Willkürjustiz, erscheint die CHP trotzdem vielen Wählern als das kleinere Übel.
Imamoglu wird jetzt zeigen müssen, ob er mit seiner Partei mehr kann als nur die Unzufriedenheit mit Erdogan zu bündeln. In schönen Reden ist er auf die Kurden zugegangen. Aber wird eine CHP mit einem Präsidentschaftskandidaten Imamoglu wirklich eine transparente, rechtsstaatliche Politik für alle türkischen Bürgerinnen und Bürger machen? Für alle, unabhängig von Abstammung, Muttersprache und Religion? Wenn ja, dann wäre sie die Alternative, die die Türkei jetzt braucht.