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Der Zerfall der britischen Regierung

Egal wer von den britischen Konservativen zum neuen Parteichef und damit zum Premierminister gemacht wird: Eine Schonzeit wird es für ihn nicht geben. Schon gar nicht wenn, wie weithin erwartet, Boris Johnson die Nachfolge von Theresa May antreten wird. Seine Gegner haben nicht vor, ihm die Chance zu geben, es wenigstens besser zu machen als die Amtsinhaberin. Johnson muss fürchten, im Unterhaus keine Mehrheit mehr zu haben, wenn Oppositionsführer Jeremy Corbyn die offenkundige Zerstrittenheit der Tories dazu nutzen sollte, die Vertrauensfrage zu stellen.

Geschrieben von Andreas Hippin am . Veröffentlicht in Welt.
Boris Johnson
Boris Johnson
Foto: Chatham House / CC BY 2.0 (via Flickr)

Egal wer von den britischen Konservativen zum neuen Parteichef und damit zum Premierminister gemacht wird: Eine Schonzeit wird es für ihn nicht geben. Schon gar nicht wenn, wie weithin erwartet, Boris Johnson die Nachfolge von Theresa May antreten wird. Seine Gegner haben nicht vor, ihm die Chance zu geben, es wenigstens besser zu machen als die Amtsinhaberin. Johnson muss fürchten, im Unterhaus keine Mehrheit mehr zu haben, wenn Oppositionsführer Jeremy Corbyn die offenkundige Zerstrittenheit der Tories dazu nutzen sollte, die Vertrauensfrage zu stellen.

Schatzkanzler Philip Hammond und Justizminister David Gauke, die Johnson gern einen Strich durch die Rechnung machen würden, traten mit ihren Rücktrittsankündigungen die Flucht nach vorn an. Vom Prinzip der kollektiven Verantwortung hatten sie sich schon früher verabschiedet: Vergangene Woche verschafften sie der Opposition per Enthaltung einen Abstimmungssieg gegen die Regierung. Ihnen geht es darum, einen ungeordneten Brexit um jeden Preis zu verhindern. Alan Duncan, der im Außenministerium für Europa und Amerika zuständige Staatssekretär, trat einfach so zurück. Sie alle dürften Johnson die Gefolgschaft versagen, auch der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve oder der frühere Schatzkanzler Kenneth Clarke. Bei der hauchdünnen Mehrheit von Tories und nordirischen Unionisten würde das Corbyn schon reichen.

Eine Aussöhnung der verfeindeten Lager ist nicht zu erwarten - weder innerhalb der Regierungspartei noch jenseits von Westminster. Denn seit dem EU-Referendum haben nicht viele ihre Meinung dazu geändert, wie das künftige Verhältnis zu der Staatengemeinschaft jenseits des Ärmelkanals aussehen sollte.

Und nach wie vor glaubt jede Seite, dass sie am Ende als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgehen wird. Vielleicht stellt Johnson ja selbst die Vertrauensfrage. Brexit-Befürworter hätten nichts gegen Neuwahlen, würden doch eine ganze Reihe der Abgeordneten, die ihnen so viele Steine wie möglich in den Weg legen, nicht wieder ins Parlament einziehen. Sie träumen von einer komfortablen Mehrheit für Johnson, weil sich Labour und Liberaldemokraten in den urbanen Zentren gegenseitig schwächen würden. Das erinnert an die Wahl 2017, von der sich Mays Unterstützer einen Erdrutschsieg erhofft hatten. Am Ende käme wohl wieder eine Pattsituation heraus. Großbritannien bliebe handlungsunfähig.



Quelle: ots/Börsen-Zeitung