Der Sprengmeister Europas
Wenn von Charisma die Rede ist, fallen meist die ganz großen Namen: Nelson Mandela zum Beispiel, Mahatma Gandhi und Mutter Teresa oder John F. Kennedy. Allesamt waren sie Helden der Freiheit und der Gerechtigkeit. Was aber ist mit Viktor Orbán? Wenige Wochen vor der Europawahl scheint der Ministerpräsident des kleinen, wirtschaftlich und weltpolitisch eher unbedeutenden Ungarn zur kontinentalen Lichtgestalt einer rechtsnationalen Bewegung mit autoritären Zügen aufzusteigen.
Wenn von Charisma die Rede ist, fallen meist die ganz großen Namen: Nelson Mandela zum Beispiel, Mahatma Gandhi und Mutter Teresa oder John F. Kennedy. Allesamt waren sie Helden der Freiheit und der Gerechtigkeit. Was aber ist mit Viktor Orbán? Wenige Wochen vor der Europawahl scheint der Ministerpräsident des kleinen, wirtschaftlich und weltpolitisch eher unbedeutenden Ungarn zur kontinentalen Lichtgestalt einer rechtsnationalen Bewegung mit autoritären Zügen aufzusteigen.
Von Orbán selbst stammt der Begriff der "illiberalen Demokratie", die er für das Herrschaftsmodell der Zukunft hält. Kann ein solcher Mann charismatisch sein? Orbáns Strahlkraft jedenfalls ist nicht zu übersehen. Zu beobachten war sie zuletzt beim Besuch des österreichischen Vizekanzlers und FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache in Budapest, eines weiteren Wortführers der europäischen Rechten. Strache wirkte nicht nur blass neben Orbán. Er geriet sogar vollends aus dem Fokus, als sein Gastgeber die Pressekonferenz nutzte, um dem deutschen Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionschefs, dem CSU-Politiker Manfred Weber, seine Unterstützung zu entziehen. Die Abgeordneten seiner Fidesz-Partei würden Weber nicht wählen, kündigte Orbán an und besiegelte damit den Bruch in der konservativen EVP. Das war eine kleine Sensation. Zugleich war es aber auch eine skurril anmutende Machtdemonstration. Schließlich hatte die Europäische Volkspartei ihrerseits den Fidesz im März suspendiert, weil die Ungarn eine Anti-EU-Kampagne gestartet hatten.
Nun jedoch drehte Orbán den Spieß um und ließ wissen, dass Weber seine Gunst verspielt habe. Dabei gehören gerade einmal elf von 216 EVP-Abgeordneten dem Fidesz an. Doch mit messbarer Macht lässt sich Orbáns Höhenflug ohnehin kaum erklären. So lag Ungarn beim Bruttoinlandsprodukt zuletzt zwischen Kasachstan und Angola auf Platz 58 in der globalen Rangliste. Das Land verfügt auch über kein nennenswertes militärisches Potenzial. Man könnte Orbán und seinen Fidesz also mit guten Gründen für so etwas wie europäische Scheinriesen halten. Dennoch interessiert sich seit Neuestem sogar US-Präsident Donald Trump für Ungarn. Der mächtigste Politiker der Welt lud Orbán für die kommende Woche ins Weiße Haus ein. Man kann das kaum anders werten als einen Akt der Wahlkampfhilfe für einen Mann, der sich nach eigenem Bekunden in "spirituellem Einklang" mit Trump wähnt. So formulierte es Orbán in einem Interview, und weiter: "Trumps offenes ins Zentrum Stellen der nationalen Interessen ist etwas, das ich voll und ganz teile." Doch worauf könnte sich eine Ungarn-zuerst-Strategie stützen?
Bei einem Blick auf die harten Machtfaktoren wird man im Land nicht fündig, und so bleibt als politische Größe von Gewicht am Ende nur die Person Orbán selbst übrig, der spätestens seit seiner kompromisslosen Reaktion auf die Migrationskrise von 2015 zu einer Art Heilsbringer der europäischen Rechten aufgestiegen ist. In einschlägigen Internetforen wird der ungarische Ministerpräsident seither als jener Retter des christlichen Abendlandes gefeiert, als der er sich selbst gern stilisiert. Und damit stellt sich tatsächlich die Frage nach Orbáns Charisma. Kaum zu bestreiten ist, dass der ungarische Regierungschef mit seinen 55 Jahren über einen enormen Erfahrungsschatz und zugleich über unbändige Energie verfügt. Vor allem Letzteres jedoch lässt sich auch zum Schaden aller missbrauchen. Es ist kein Zufall, dass Orbáns Kritiker den ungarischen Ministerpräsidenten gelegentlich als "Sprengmeister Europas" bezeichnen. Das Zeug dazu hat er.