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Nur nicht in meinem Hinterhof

Wer derzeit auf die Energiepolitik schaut, sieht auf den ersten Blick nur Verhinderung: "Not in my backyard" - "Nicht in meinem Hinterhof", rufen viele, die kein Windrad vor der Haustür haben wollen. Auch gegen den Bau der Stromtrasse Südostlink gibt es massive Proteste von Betroffenen.

Geschrieben von Katharina Kellner am . Veröffentlicht in Themen.
Foto: Alexander Droeger / CC0 (via Pixabay)

Wer derzeit auf die Energiepolitik schaut, sieht auf den ersten Blick nur Verhinderung: "Not in my backyard" - "Nicht in meinem Hinterhof", rufen viele, die kein Windrad vor der Haustür haben wollen. Auch gegen den Bau der Stromtrasse Südostlink gibt es massive Proteste von Betroffenen.

Auf den zweiten Blick liegt der Fall hier aber anders: Hätte die Politik wegen der Widerstände bei der Windenergie nicht so schnell resigniert, hätte sie Privatleute entschieden dabei unterstützt, ihre eigenen Photovoltaikanlagen zu betreiben - es wäre wohl nicht nötig gewesen, eine dicke Schneise quer durch die Oberpfalz zu schlagen und die Erde aufzureißen. Ein entschlossener Ausbau der erneuerbaren Energien würde die Erdkabel, die Strom aus anderen Teilen Deutschlands zu uns bringen sollen, überflüssig machen. Natürlich geht es auch den meisten Trassengegnern in erster Linie darum, dass ihr eigenes Grundstück keine Wertminderung erfährt und die Landschaft vor ihrer Haustür nicht verschandelt wird.

Doch die Bürger sind auch wütend, weil sie sehen, dass in der Energiepolitik insgesamt die Marschrichtung nicht stimmt. Hierbei haben sie namhafte Wissenschaftler an ihrer Seite, die ihre Thesen bestätigen. Diese lauten: Die Trasse bremst eine dezentrale Energiewende. Letztere käme nicht den großen Netzbetreibern, sondern den Bürgern zugute. Die Stromtrassen sind nur deshalb so unverzichtbar für die Politik, weil diese an einem alten System festhält. Dieses System rechnet immer noch mit Strom aus Atom und Kohle statt mit dem Ziel, so schnell wie möglich auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen, Gaskraftwerke für Engpässe vorzuhalten und innovative Speichertechnologien voranzubringen. Zwar hat sich seit Fukushima, dem extrem trockenen Sommer 2018 und den alarmierenden Prognosen der Klimaforscher allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, dass in der Energiepolitik etwas passieren muss.

Doch das Umdenken der Regierungen in Bund und Ländern geht zu langsam. Noch immer werden regionale Potenziale nicht wirklich genutzt und falsche Anreize gesetzt. Der Südostlink ist Teil eines Systems, das auf Atom und Kohle beharrt und in dem es Netzbetreibern gestattet wird, hohe Renditen abzuschöpfen. Diesen Zusammenhang hat Energieökonomin Prof. Claudia Kemfert klar benannt. Trassengegner verweisen zurecht darauf, dass die Pläne für die Stromtrassen auf überholten Annahmen und Berechnungen basieren. So wurden sie vor dem Pariser Abkommen festgezurrt, in dem sich 2015 viele Staaten zu effizienterem Klimaschutz verpflichtet haben. Der Ausbau der Windkraft wird falsch angegangen: Vielerorts verdienen nicht die Bürger am Windrad vor ihrer Haustür, sondern überregionale Investoren. Kein Wunder, dass die Akzeptanz gering ist. Um unabhängig von Konzernen zu sein, sind Bürgerenergiegenossenschaften eine gute Alternative.

Als Voraussetzung dafür, die Windkraft in Bayern von den Toten aufzuwecken, muss die 10-H-Abstandsregel schnellstens weg. Es kann nicht sein, dass die CSU an diesem Unsinn festhält, nur um Horst Seehofer nicht zu düpieren, der die Regel einst einführte. Das zweite wichtige Standbein für eine gelungene Energiewende sind Photovoltaikanlagen. In den Jahren 2011 und 2012 hatte ein Boom eingesetzt: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz schuf die Voraussetzung dafür, dass Landwirte und Privatleute mit ihren Dachflächen gutes Geld verdienen konnten. Doch die große Koalition kürzte ab 2013 die Einspeisevergütung und bremste so die Investitionslust. Sollte die Deckelung nun tatsächlich fallen, lässt sich bei der Solarenergie beträchtliches Potenzial finden. Die nächsten Monate werden zeigen, inwieweit die Politik auf die Einwände der Trassengegner eingeht. Ein zweites "Wackersdorf", wie es sich mancher erhofft, wird es voraussichtlich aber nicht geben.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung