Der Westen darf sich von Russland nicht einschüchtern lassen
Die Rede von Wladimir Putin zur Lage der Nation hatte es in sich. Gleich zu Beginn richtete er seine beängstigende Botschaft an den Westen und drohte wieder unverblümt mit dem Einsatz von Atomwaffen. Das hat er seit einem Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping 2022 nicht mehr offen getan.
Die Rede von Wladimir Putin zur Lage der Nation hatte es in sich. Gleich zu Beginn richtete er seine beängstigende Botschaft an den Westen und drohte wieder unverblümt mit dem Einsatz von Atomwaffen. Das hat er seit einem Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping 2022 nicht mehr offen getan.
Es war offensichtlich. Der russische Präsident reagierte auf die Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der westliche Bodentruppen für die Ukraine nicht mehr ausschließen will. Und auch auf die großen Sorgen, die Bundeskanzler Olaf Scholz umtreiben und ihn davon abhalten, der Ukraine die deutschen Luft-Boden-Marschflugkörper Taurus zu liefern. Sie haben eine so große Reichweite, dass sie auch Ziele in Moskau erreichen könnten.
Putin sagte deutlich: Wenn ihr Truppen schickt oder auf unser Territorium schießt, schießen wir zurück. Auch mit Atomwaffen. Die westlichen Drohungen schafften eine "reale Gefahr" eines Nuklearkonflikts. Wenn ihr euch nicht an die roten Linien haltet, werden wir es auch nicht tun. Er spricht von der Vernichtung der Zivilisation. Das ist natürlich Teil der psychologischen Kriegsführung: Ängste schüren, Vorbehalte stärken, Keile treiben zwischen die Verbündeten. Aber es ist auch eine sehr reale Gefahr. Putin hat keine Skrupel, ohne Rücksicht auf Verluste wirft er Soldaten als Kanonenfutter an die Front. Ein Menschenleben zählt nicht viel.
Julija Nawalnaja, die Witwe des in russischer Lagerhaft umgekommenen Erzfeind Putins, nannte ihn am Mittwoch vor dem EU-Parlament ein "verdammtes Monster", das eine kriminelle Bande anführt. Solchen Menschen ist alles zuzutrauen, vor allem, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Morgen soll ihr Mann in Moskau beigesetzt werden. Wer daran teilnimmt, muss sehr mutig sein. Überall rund um den Friedhof wurden Kameras montiert.
Morgen wird dort aber nicht nur Nawalny beerdigt, sondern auch die Hoffnung, dass sich Russland selbst aus dem Würgegriff Putins befreien kann. Seine Wiederwahl in zwei Wochen steht außer Frage. Jeden ernst zu nehmenden Gegenkandidaten, jeden Oppositionellen, der nicht aus dem Land geflohen ist, hat er kaltgestellt, eingesperrt oder töten lassen. Er muss sich jetzt nur noch fürchten, dass niemand wählen geht. Denn der pseudodemokratische Anstrich seiner Diktatur scheint ihm dann doch wichtig zu sein.
In weiten Teilen war die Rede, die auf zahlreiche Plätze im Land übertragen wurde, nach innen gerichtet - auf die "großartigen Menschen", den Zusammenhalt, die Einheit, auf Pläne für Entwicklung von Forschung und Bildung und auf die Familienpolitik, in deren Zentrum die Großfamilie stehen soll, die Putin in den nächsten sechs Jahren fördern will.
Transnistrien, wo die pro-russischen Separatisten am Vortag um "Schutz" aus Russland gebeten hatten, erwähnte er überraschenderweise mit keinem Wort. Das bedeutet nicht, dass Putin Transnistrien abschreibt. Die Kriegsgefahr ist nicht gebannt.
Aber was heißt die Rede jetzt für den Westen? Scholz und Macron dürfen dem russischen Präsidenten nicht länger in die Hände spielen. Sie müssen Uneinigkeiten überwinden und gemeinsam alles Vertretbare tun, damit sich die Ukraine verteidigen kann. Bodentruppen, da hat der Kanzler vollkommen Recht, gehören nicht dazu. Doch Putins Spiel mit der Angst darf nicht aufgehen. Angst ist ein schlechter Ratgeber.