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Brandstifter im Weißen Haus

Die Wahlen brachten nicht das erhoffte klare Ergebnis. Hat Donald Trump noch über die 2016 mobilisierte Anhängerschaft hinaus ein zusätzliches Reservoir anzapfen können?

Geschrieben von Joachim Zießler am . Veröffentlicht in Themen.
Trump hat viel stärker als alle seine Vorgänger versucht, das ganze politische System auf sich selbst auszurichten und normale Verfahren zu umgehen oder auszuhebeln.
Trump hat viel stärker als alle seine Vorgänger versucht, das ganze politische System auf sich selbst auszurichten und normale Verfahren zu umgehen oder auszuhebeln.
Foto: Kayle Kaupanger

Die Wahlen brachten nicht das erhoffte klare Ergebnis. Hat Donald Trump noch über die 2016 mobilisierte Anhängerschaft hinaus ein zusätzliches Reservoir anzapfen können?

Prof. Stephan Bierling: Ja, er hat seine Stammwählerschaft noch mehr mobilisiert. Aber auch die Demokraten haben ihre Anhängerschaft erhöht. Die Folge: eine enorme Wahlbeteiligung, wohl eine der höchsten in der neueren amerikanischen Geschichte.Trump blieb sich in der Wahlnacht treu, diskreditierte die Wahl als solche.

Droht eine Verfassungskrise, falls Trump in den Swing States den Druck auf die Legislativen erhöht, die die Wahlmänner ernennen?

Ja, Trump behandelt die Verfassung und das Wahlrecht wie sein Privateigentum. Er hat keinen Respekt vor der Demokratie, ihm ist jedes Mittel Recht, sich an der Macht zu halten. Setzt er sich damit durch, werden die USA zur Bananenrepublik.

In Ihrem Buch sezieren sie Trumps Jahre als "Brandstifter im Weißen Haus" auch als Symptom dafür, dass die Demokratie unter Druck steht. Lässt sich der Schaden schon ermessen, den er angerichtet hat?

Ja. Wir sehen, dass er die Institutionen und die eingeübten Rituale, die die amerikanische Demokratie 230 Jahre stabil gehalten haben, beschädigt hat. Nehmen wir etwa den Grundsatz der Demokratie, dass Institutionen wichtiger sind als Personen. Trump hat viel stärker als alle seine Vorgänger versucht, das ganze politische System auf sich selbst auszurichten und normale Verfahren zu umgehen oder auszuhebeln. Er entließ Minister und Berater, die nicht willfährig genug waren. Er verunglimpfte Institutionen, die kritisch mit ihm umgingen, als "sogenannte Richter" oder als "Fake News". Zudem versuchte er immer wieder, die heiligste Institution der Demokratie zu schwächen, nämlich freie und faire Wahlen. Wie schon vor vier Jahren wollte er den Wahlausgang nur anerkennen, wenn er gewänne. Das zeigt autoritäre Instinkte und die Bereitschaft, Demokratie aus Machtgier zu untergraben.

Ist "einer der am einfachsten tickenden Präsidenten in der US-Geschichte", so wie sie ihn beschreiben, nur zu begreifen, wenn man ihn als Folge, nicht als Ursache einer dysfunktionalen Ordnung sieht?

Eigentlich ist Trump ein langweiliger Charakter. Mit ihm würde ich mich nicht zum Bier treffen - abgesehen davon, dass er keinen Alkohol trinkt. Er kennt nur vier Verhaltensweisen, die er wahrscheinlich schon als Kind eingeübt hat: 1.) Alle Erfolge als seine eigenen ausgeben und sie maßlos übertreiben, auch die, die er nicht verursacht hat. 2.) Fehlschläge immer anderen in die Schuhe schieben. 3.) Nie etwas zugeben und mit voller Kraft zurückschlagen, wenn er kritisiert wird. Und 4.) sich mit Ja-Sagern umgeben. Deshalb hat er ja Familienmitglieder in den engsten Beraterkreis geholt, die sind ihm völlig ergeben und widersprechen ihm nie. Das Spannende seiner Präsidentschaft ist die Frage, was passiert, wenn ein Mensch mit so einfachen, antidemokratischen Instinkten auf das älteste demokratische Verfassungssystem der Welt trifft. Ein System, das seit 230 Jahren funktioniert und garantiert, dass alle vier Jahre ein Präsident gewählt wird - auch in der Depression, im Bürgerkrieg und im Weltkrieg. Klar ist aber: Trump ist nicht die Ursache, sondern die Folge von Fehlentwicklungen. Diese reichen bis in die 80er-Jahre zurück, als die parteipolitische Polarisierung in den USA ihren Anfang nahm. Mittlerweile ist sie so stark wie nie zuvor. Es gibt kaum mehr Wechselwähler in der Mitte, um die die beiden Parteien kämpfen, Republikaner wie Demokraten stellen nur mehr ihre eigene Wählerklientel und deren Interessen in den Mittelpunkt. Trump nutzt diese Spaltung brutal aus: Egal, was er in den vergangenen vier Jahren tat - unflätig über Gegner herziehen, von einem Pornostar verklagt werden, ein Amtsenthebungsverfahren auslösen - seine Wähler hielten ihm die Stange. Das ist nicht gesund in einer Demokratie.

Trump beschwor immer wieder die Angst vor Auslöschung - im Innern die der weißen Vorherrschaft, in der Welt die der US-Vorherrschaft. Hat seine Präsidentschaft beide Szenarien sogar beschleunigt?

Im Inneren hat er wahrscheinlich den weißen, schlechter ausgebildeten älteren Männern zum letzten Mal eine so laute Stimme gegeben. Das ist ein verzweifeltes Aufbäumen dieser Gruppe angesichts der großen Veränderungen in den USA. Beschleunigt hat Trump ihren Abstieg aber nicht. Denn das ist ein säkularer Phänomen, der mit der Präzision eines Uhrwerks abläuft. Aus demografischen Gründen und deshalb, weil junge Menschen heute sehr viel besser ausgebildet sind als früher. Diesen rasanten Wandel konnte Trump nur übertünchen, nicht aufhalten. Im Äußeren liegt die Sache etwas anders. Amerikas Abstieg von der Position der alleinigen Supermacht in den 90er-Jahren war unvermeidbar, weil andere Spieler aufkamen. Vor allem China, das aufgrund seiner dramatischen ökonomischen Erfolge politisch und militärisch zu einem Herausforderer der USA geworden ist. Washington hat diesen Abstieg aber auch selbst beschleunigt durch teure Kriege im Irak und in Afghanistan. Trump versprach, "Amerika wieder groß zu machen". Aber er hat den relativen Abstieg der USA beschleunigt, weil er das größte Pfund, das die USA weltpolitisch auf die Waagschale bringen können, ihr riesiges Allianzsystem, nicht pflegte. Washington hat multilaterale oder bilaterale Sicherheitsabkommen mit 60 Nationen. Dieses Erbe der Präsidenten seit 1945 hat Trump verraten, und damit das wichtigste Instrument entwertet, mit dem China und Russland Einhalt zu gebieten wäre. Denn diese Diktaturen haben im Grunde keine Verbündeten. Das Vertrauen der Welt in amerikanische Führung ist ein flüchtiges Gut. Hier hat Trump schwere Schäden angerichtet, die auch Joe Biden nicht so schnell reparieren könnte.

Als Anhänger der Verschwörungstheorie eines "deep state", der im Hintergrund die Fäden zieht, tat Trump alles, um Fachleute aus der Bürokratie zu entfernen. Reiht sich seine Verachtung der Eliten ein in die Riege der Populisten weltweit?

Das finden wir bei Salvini und Le Pen, bei Orban, auch zum Teil bei Boris Johnson, aber natürlich am stärksten bei Trump. An seiner Parole, dass sich die herrschenden Eliten nicht um das "wahre Volk" gekümmert haben, ist ein bisschen was dran. Niemals vollzog sich der ökonomische, technologische und der gesellschaftliche Wandel schneller als in den letzten 30 Jahren. Das lässt viele Menschen verängstigt zurück. Populisten verschärfen diese Angstzustände, liefern Sündenböcke und vermeintlich leichte Lösungen. Wer Gruppen pauschal als "basket of deplorables", als "Korb der Bemitleidenswerten", abqualifiziert, wie Hillary Clinton, grenzt diese aus der demokratischen Schicksalsgemeinschaft aus. Trump hat es dann perfekt gespielt, ließ T-Shirts drucken mit dem Satz "I'm a deplorable" - Ich bin ein Bemitleidenswerter. Damit gab er den Angesprochenen so etwas wie Stolz. Diesen Faktor haben wir in der Politikwissenschaft zu wenig berücksichtigt. Was Menschen der Demokratie erhält, sind nicht zwei Prozent Wachstum oder ein bisschen mehr Lohn, sondern Respekt für ihre Lebensart und Lebensleistung. Und der schwand bei vielen Gewinnern des Wandels gegenüber jenen, die aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres Alters Veränderungen fürchten. Beide Seiten stehen sich heute sprachlos gegenüber. Zudem begegnen sich die Gewinner und die Verlierer des Wandels kaum noch. Früher taten sie das in Kirchen und Kneipen. Heute ist in den USA die letzte Möglichkeit, Leute zu treffen, die anders ticken als man selbst, die Sportveranstaltung. Deshalb appelliere ich immer an meine Studenten, in Sportklubs und zur Freiwilligen Feuerwehr zu gehen. Das weltweit einmalige Vereinswesen in Deutschland hat eine enorme systemstabilisierende Wirkung. Wenn sich Demokratien nicht als Schicksalsgemeinschaft begreifen, zerfallen wir in verfeindete Stämme. Die Verantwortung, dem Auseinanderfallen der Gesellschaft entgegenzuwirken, liegt auf beiden Seiten - stärker aber auf Seite derer, die vom Wandel profitieren. Wenn sich Eliten nur mehr selbst reproduzieren, etwa indem der Bildungsgrad quasi "erblich" wird, stirbt das Gründungsversprechen der Demokratie, dass alle gleiche Lebenschancen haben.

Erfolgreich war Trump bei der Zementierung einer konservativen Dominanz in der Richterschaft. Ist das System von checks and balances beschädigt?

In der Tat war Trump überaus erfolgreich damit, den Bundesgerichten eine konservative Prägung zu geben - also den Bezirksrichtern, den Berufungsrichtern und vor allem dem Supreme Court. Drei Richter im höchsten US-Gericht wurden unter ihm ernannt, dazu über 200 der 800 Richterstellen auf den unteren Ebenen. Allerdings sind juristisch Konservative und politisch Konservative nicht immer deckungsgleich. Das zeigt etwa das Abstimmungsverhalten von John Roberts, der von George W. Bush nominiert wurde und der jetzt im Gerichtshof öfters mit den demokratisch ernannten Richtern stimmt - zum Beispiel in der Frage der Krankenversicherung. Selbst die von Trump ernannten Brett Kavanaugh und Neil Gorsuch sind nicht so weit rechts, wie erwartet.

Hätte Biden das Format, den kalten Bürgerkrieg im Innern, die völlige Unmöglichkeit von Kompromissen zwischen den Lagern, zu befrieden?

Ich glaube, er könnte den Weg aufzeigen. Es gelang ihm, seine eigene Partei zusammenzuschmieden, in der sich Fraktionen spinnefeind gegenüberstehen - etwa die Sozialisten um Bernie Sanders und die Ostküsten-Technokraten um Jeff Bezos. Biden ist einer der letzten Integratoren bei den Demokraten und gilt sogar manchen Republikanern als wählbar. Die gesellschaftliche Spaltung kann aber nur überwunden werden, wenn sich die Republikanische Partei dorthin bewegt, wo die Mehrheit der amerikanischen Bürger schon ist und dabei ihre verängstigten Anhänger mitnimmt.

Stephan Bierling (58) leitet die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Er lehrte auch in Südafrika, Israel, den USA und Australien. 2016 war er Gutachter für den NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. In der zurückliegenden Wahlnacht hat er bis 8 Uhr morgens live in der ARD kommentiert.
Quelle: ots/Landeszeitung Lüneburg