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Stilfragen können nicht politische Substanz ersetzen

Das Konterfei Ursula von der Leyens prangte gestern in mehreren polnischen Tageszeitungen. Freundlich, lachend oder winkend war sie abgebildet. Keine Frage: Die gewählte Präsidentin der EU-Kommission kommt gut an jenseits von Oder und Neiße. Und das gilt keineswegs nur für die proeuropäische Opposition. Mehr noch setzt die rechtsnationale PiS-Regierung ihre Hoffnungen darauf, dass mit der deutschen EU-Chefin eine "neue Zeit" in den Beziehungen zu Brüssel anbricht, wie es Premier Mateusz Morawiecki formulierte.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Politik.
Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen
Foto: European Parliament / CC BY 2.0 (via Flickr)

Das Konterfei Ursula von der Leyens prangte gestern in mehreren polnischen Tageszeitungen. Freundlich, lachend oder winkend war sie abgebildet. Keine Frage: Die gewählte Präsidentin der EU-Kommission kommt gut an jenseits von Oder und Neiße. Und das gilt keineswegs nur für die proeuropäische Opposition. Mehr noch setzt die rechtsnationale PiS-Regierung ihre Hoffnungen darauf, dass mit der deutschen EU-Chefin eine "neue Zeit" in den Beziehungen zu Brüssel anbricht, wie es Premier Mateusz Morawiecki formulierte.

Von der Leyen gab diesen Hoffnungen bei ihrem Besuch viel Nahrung. Immer wieder verwies sie darauf, dass allen Mitgliedsstaaten der EU der gleiche Respekt gebühre. Man stehe schließlich auf derselben Seite, gerade in internationalen Krisenzeiten. Als wichtigste Themen nannte die ehemalige Verteidigungsministerin die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie mehr Wohlstand für alle. Von demokratischen Defiziten in Polen und der umstrittenen Migrationspolitik war dagegen nur am Rande die Rede. Der Auftritt nährte die Spekulation, von der Leyen könnte der PiS vor ihrer Wahl geheime Zusagen gemacht haben. Zur Erinnerung: Die Deutsche war mit nur neun Stimmen Mehrheit zur Kommissionschefin gewählt worden, darunter von zwei Dutzend PiS-Parlamentariern.

Selbstverständlich lassen sich die entscheidenden Stimmen keiner Partei direkt zuordnen. Jedes Votum zählt nun einmal gleich viel. Aber wenn von der Leyen nicht aufpasst, könnten ihr die wenig Wohlmeinenden eines nicht allzu fernen Tages das Etikett "PiS-geprüft" anheften, auch wenn es keine Belege für Absprachen gibt. Das Treffen hinterließ zumindest einen schalen Nachgeschmack: Als von der Leyen auf dem Weg zum Flughafen war, ließ ihr Gastgeber Morawiecki die Presse wissen, man habe in dem Vier-Augen-Gespräch das Thema Rechtsstaatlichkeit mit keinem Wort mehr gestreift. Nimmt man die jüngsten Interviewäußerungen von der Leyens hinzu, in denen sie den Ostmitteleuropäern mit der These "Niemand ist perfekt, auch in Rechtsstaatsfragen nicht" quasi Absolution erteilt hatte, kann man als überzeugter Demokrat schon unsicher werden, wo das alles hinführen soll.

Dabei hat von der Leyen grundsätzlich recht, wenn sie mehr Respekt für Polen und andere ostmitteleuropäische EU-Staaten verlangt. Bei aller berechtigten Fundamentalkritik an der Regierungsführung in Warschau oder Budapest mischt sich im Westen immer wieder unerträgliche Arroganz in die Stellungnahmen. Über Boris Johnson in London oder Matteo Salvini in Rom wird auch Unschönes gesagt. Aber das Abschätzige, Degradierende und Respektlose in den Untertönen ist die Ausnahme. Das muss sich zugunsten der Osteuropäer dringend ändern. Wenn die konservative deutsche Kommissionschefin in dieser Hinsicht vorangehen will, verdient sie dabei jede Unterstützung.

Die Mission "Respekt" ist besonders wichtig in einer Zeit, in der die Donald Trumps dieser Welt auch den letzten Rest an Anstand vermissen lassen und die Hassrede den guten Ton ersetzt hat. Wiederum andererseits können Stilfragen die politische Substanz nicht ersetzen, und da wird von der Leyen bald liefern müssen. Von polnischer Seite soll sie dabei von Krzysztof Szczerski als Kommissar unterstützt werden, dem aktuellen Kabinettschef von Staatspräsident Duda. Das zumindest ist der Vorschlag, den Morawiecki der neuen Kommissionspräsidentin unterbreitete. Der 46-jährige Szczerski gilt wie Duda als gemäßigter PiS-Politiker. Die Nominierung lässt sich deshalb tatsächlich als Zeichen einer neuen, harmonischeren Zeit lesen. Rechtsstaatsfragen allerdings, so könnte man meinen, stören da nur.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung