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Die Furcht vor Neuwahlen

Und plötzlich ist Angela Merkel "nur" noch die Quartiermeisterin. Die Kanzlerin und Nicht-mehr-CDU-Vorsitzende stellte der Abendrunde der Koalitionsspitzen gestern sozusagen lediglich ihr Wohnzimmer zur Verfügung. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder kamen für CDU und CSU auch gleich noch zwei Neulinge in die illustre Abendgesellschaft ins Kanzleramt. Und als ob das nicht schon genug des Neuen wäre, überraschte der Koalitionsausschuss zudem noch mit bislang ungekannter Milde. Es wurde gewissermaßen das Kontrastprogramm geboten zu den hitzigen und quälend langen Runden, bei denen sich Seehofer und Merkel in der Vergangenheit über die Flüchtlingspolitik stritten.

Geschrieben von Reinhard Zweigler am . Veröffentlicht in Politik.
Kanzleramt in Berlin
Kanzleramt in Berlin
Foto: Stephanie_Ev / CC0 (via Pixabay)

Und plötzlich ist Angela Merkel "nur" noch die Quartiermeisterin. Die Kanzlerin und Nicht-mehr-CDU-Vorsitzende stellte der Abendrunde der Koalitionsspitzen gestern sozusagen lediglich ihr Wohnzimmer zur Verfügung. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder kamen für CDU und CSU auch gleich noch zwei Neulinge in die illustre Abendgesellschaft ins Kanzleramt. Und als ob das nicht schon genug des Neuen wäre, überraschte der Koalitionsausschuss zudem noch mit bislang ungekannter Milde. Es wurde gewissermaßen das Kontrastprogramm geboten zu den hitzigen und quälend langen Runden, bei denen sich Seehofer und Merkel in der Vergangenheit über die Flüchtlingspolitik stritten.

Krisengipfel waren gestern. Die Zeiten ändern sich - und die Akteure auch. Doch das Bild des gestrigen Abends kann nicht darüber hinweg täuschen, dass sich die Berliner Koalitionäre in wichtigen politischen Fragen streiten wie die sprichwörtlichen Kesselflicker. SPD-Chefin Andrea Nahles erschien mit einem ganzen Strauß von Vorschlägen für das neue Sozialstaatskonzept ihrer Partei im Kanzleramt. Und als Schleife darum gebunden: das Respekt-Grundrenten-Modell von Sozialminister Hubertus Heil. Menschen, die über 35 Jahre für nur wenig Geld gearbeitet haben, sollen im Alter mehr bekommen als die Grundsicherung. Und zwar ohne dass ihre Bedürftigkeit in jedem Einzelfall geprüft wird. Aber genau diese Bedürftigkeitsprüfung ist der Knackpunkt, an dem die Union auf keinen Fall mitmachen wird. Bereits im Vorfeld des gestrigen Treffens hatten Kramp-Karrenbauer, Söder oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kein gutes Haar an Heils Rentenkonzept gelassen. Es schaffe nämlich neue Ungerechtigkeiten, wenn etwa auch die Gattin eines gut verdienenden Arztes die neue Grundrente bekäme, selbst wenn sie nur ein paar Stunden täglich in der Praxis mitgeholfen habe, hieß es. Zudem sei Heils Vorschlag schlicht nicht bezahlbar. Zwischen sechs und acht Milliarden Euro müsse der Staat für die Respekt-Rente jedes Jahr zuzahlen. Unbezahlbar, wetterte die Union.

Doch was bei anderen Koalitionsgipfeln mindestens zu einem mittelschweren Eklat geführt hätte, wurde gestern ziemlich unaufgeregt einfach zur Kenntnis genommen und abgehakt. Die SPD wird ihr Grundrenten-Modell in dieser Form nicht durchbekommen. Aber auf der anderen Seite ist es in dieser Wahlperiode ebenso Essig mit der völligen Abschaffung des Soli-Zuschlages, den immerhin Parteitage von CDU und CSU vehement gefordert haben. Es bleibt dabei, dass "lediglich" den 90 Prozent der Steuerzahler mit niedrigen und mittleren Einkommen der Soli von den Schultern genommen werden wird. Man sieht, der einst mit viel Mühe ausgehandelte GroKo-Vertrag entfaltet ungeahnte Kraft. Für Extrawürste ist da kein Platz, weder für die Union, noch für die SPD. Und das ist gar nicht mal so schlecht, denn so werden teure Kompromisse zu Lasten der Steuerzahler verhindert.

Es ist jedenfalls ein echter Fortschritt, dass die Profilierungsversuche von SPD-, aber auch von Unions-Seite, das Tagesgeschäft der GroKo nicht weiter stören. Überraschend einig sind sich die Koalitionsspitzen auch darin, dass das schwarz-rote Bündnis bis zum Jahr 2021 halten muss. Was beide Seiten zusammenhält, ist die Furcht vor vorgezogenen Neuwahlen. Dabei drohte der SPD der schmachvolle Absturz auf Rang vier, hinter Union sowie hinter Grüne und AfD. Aber auch den Unionsparteien käme ein vorzeitiger Urnengang ungelegen, weil sie dann aus dem Stand heraus die Kandidatenfrage entscheiden - und schließlich Wahlkampf für die bundesweit immer noch relativ unbekannte Annegret Kramp-Karrenbauer machen müssten.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung