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Olaf Scholz

Der Abkanzler

Von Karl Kraus gibt es ein berühmtes Zitat, das man Medienleuten gerne vorhält. Es lautet: "Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat." Es stimmt ja: Notorische Besserwisserei ist lästig, mitunter sogar penetrant. Und wenn es ausgerechnet der Bundeskanzler ist, der diese Haltung bei öffentlichen Auftritten wie eine Monstranz vor sich herträgt, fragt man sich, ob das Land in diesen Zeiten bei ihm wirklich in guten Händen ist.

Geschrieben von Gerd Schneider am . Veröffentlicht in Politik.
Da fragt man sich, warum er dann als langjähriges Mitglied der Bundesregierung die russische Gaspipeline Nord Stream 2 forciert hat und so lange daran festhielt, bis es nicht mehr anders ging.
Da fragt man sich, warum er dann als langjähriges Mitglied der Bundesregierung die russische Gaspipeline Nord Stream 2 forciert hat und so lange daran festhielt, bis es nicht mehr anders ging.
Foto: Tobias Rehbein

Von Karl Kraus gibt es ein berühmtes Zitat, das man Medienleuten gerne vorhält. Es lautet: "Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat." Es stimmt ja: Notorische Besserwisserei ist lästig, mitunter sogar penetrant. Und wenn es ausgerechnet der Bundeskanzler ist, der diese Haltung bei öffentlichen Auftritten wie eine Monstranz vor sich herträgt, fragt man sich, ob das Land in diesen Zeiten bei ihm wirklich in guten Händen ist.

So konnte man Olaf Scholz jüngst erleben, etwa in der Fernseh-Talkshow "Anne Will", aber nicht nur dort. Er tritt auf wie einer, der das Welterklärungsmonopol für sich beansprucht. Der auf alle Fragen zum Ukraine-Krieg Antworten mit Unfehlbarkeitsanspruch hat. Der bei kritischem Nachhaken beleidigt ist, Ahnungslosigkeit unterstellt und sein Gegenüber abkanzelt. Und der überhaupt schon vorher alles ganz genau gewusst haben will.

Da fragt man sich, warum er dann als langjähriges Mitglied der Bundesregierung die russische Gaspipeline Nord Stream 2 forciert hat und so lange daran festhielt, bis es nicht mehr anders ging. Dabei kann der Kanzler auch anders. Am 27. Februar, nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, hielt er im Bundestag eine klare und mutige Rede, die manche Medien sogar als historisch ansahen. Scholz sprach von einer Zeitenwende, sein Auftritt wirkte wie ein Versprechen. Doch seitdem sind vier Wochen vergangen, und passiert ist so gut wie nichts. Die Rolle Deutschlands in der Ukraine-Krise, die Frage nach dem Gas-Embargo gegen Russland, Impfpflicht und Corona-Management, nicht zu vergessen die exorbitante Inflation - es sind tatsächlich viele Nöte, mit denen wir konfrontiert sind. Umso wichtiger wäre ein Regierungschef, an dem wir uns orientieren können. Dabei machen zwei aus seiner Regierungskoalition vor, wie es geht: Annalena Baerbock und Robert Habeck, beide von den Grünen.

Die Außenministerin ist präsent, pflegt eine klare Ansprache und zeigt mit jedem Auftritt, wie verloren ihr Vorgänger Heiko Maas (SPD) auf der Bühne der Diplomatie war. Habeck steht seiner Parteikollegin nicht nach, im Gegenteil. Der Wirtschaftsminister agiert im Krisenmodus und hat seine Rolle als Staatsmann gefunden, jenseits parteipolitischer Rollen und Zwänge. Ein bisschen fühlt man sich an Joschka Fischer erinnert. Der Grünen-Politiker wurde einst unter Kanzler Gerhard Schröder nach seinem Wechsel ins Außenministerium zu einer prägenden Figur der deutschen Politik. Fischer wuchs damals an seinen Aufgaben, ebenso wie Baerbock und Habeck es nun tun. Dem Land wäre dringend zu wünschen, dass auch der Regierungschef mit seinem Amt und der Verantwortung den alten Scholzomat-Modus endlich hinter sich lässt und an Statur gewinnt. Die Republik braucht einen Kanzler, der ihr Halt gibt. Einen, der entscheidet und vorangeht. Mehr denn je.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung