So politisch wie noch nie
Am Donnerstag startet sie, die 74. Berlinale. Für elf Tage wird die Stadt wieder zum Zentrum der Filmschaffenden und Kinoliebhaber. Und zum Schaulaufen der Stars. Und dieses Jahr dürfte besonders interessant werden.
Am Donnerstag startet sie, die 74. Berlinale. Für elf Tage wird die Stadt wieder zum Zentrum der Filmschaffenden und Kinoliebhaber. Und zum Schaulaufen der Stars. Und dieses Jahr dürfte besonders interessant werden.
Denn es ist schon das letzte Festival unter der Doppelspitze der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und des Programmleiters Carlo Chatrian - nach einer Amtszeit von gerade mal fünf Jahren. Eine äußerst kurze Ära, zu kurz, um wirklich Akzente zu setzen, zumal sie auch noch von Corona überschattet war und bei der jetzigen Ausgabe erst kräftig gespart werden musste.
Schon drohte die Berlinale zu einem rein regionalen Filmfestival zu verzwergen und ihren A-Status zu verlieren. Diese Gefahr ist gebannt. Das hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) wiederholt bekräftigt. Aber davon wird erst Tricia Tuttle profitieren, die das Festival ab April als neue Intendantin übernimmt. Umso spannender wird es sein, ob Programmleiter Chatrian in seiner letzten Festival noch mal alles aufbietet und Asse aus dem Ärmel zückt, um zu zeigen, was die Berlinale, was Berlin mit ihm verlieren wird.
Den Auftakt freilich hat die Doppelspitze schon ein wenig vergeigt, bevor das Festival überhaupt losgegangen ist. Weil Abgeordnete der AfD - trotz jüngster Erkenntnisse über eine Geheimkonferenz nahe Potsdam und trotz der anhaltenden Diskussion, ob man die Partei verbieten sollte - zur Eröffnung am heutigen Abend im Berlinale-Palast eingeladen und erst nach lautstarken öffentlichen Protesten wieder ausgeladen wurden. Die Berlinale versteht sich als weltoffenes Festival. Und das Führungsduo hat noch einmal betont, dass das Engagement für eine freie tolerante Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zu seiner DNA gehört. Aber klare Haltung sieht doch anders aus.
Dabei ist die Berlinale ein genuin politisches Festival. Ist es zumindest unter der Ägide des vorherigen Chefs Dieter Kosslick immer mehr geworden. Und auch dieses Jahr wird es weltweite Konflikte widerspiegeln. Nicht nur in vielen Filmen in den diversen Sektionen. So dürfen etwa die iranischen Regisseure Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha nicht ausreisen, um ihren Wettbewerbsfilm, der gleich am zweiten Festivaltag läuft, persönlich vorzustellen. Das hat schon traurige Tradition auf dem Festival. Ein Dokumentarfilm von Abel Ferrara über die Ukraine wird zudem eine Woche vor dem traurigen zweiten Jahrestag des russischen Angriffs laufen. Und um einen Treffpunkt für einen offenen Dialog über den Krieg in Gaza zu schaffen, schlägt die Berlinale mitten am Potsdamer Platz ein sogenanntes Tiny House auf, in dem man sich austauschen soll.
Das sind gute und wichtige Signale. Das Festival ist eben keine weltabgewandte Blase, die sich in Glamour und Eskapismus flüchtet, sondern versteht sich als Safe Space gerade für Filmemacher, die in ihrer Heimat verfolgt oder diskriminiert werden und sich hier offen artikulieren können. Bei den vielen Konflikten, die derzeit weltweit schwelen, gibt es da genug Diskussions- und Zündstoff, bei dem man klare Positionen beziehen kann. Neben den Solidaritätsbekundungen seitens des Festivals muss man allerdings auch mit Störaktionen rechnen. Denn auch andere, weniger tolerante Stimmen könnten das Festival für medienwirksame Auftritte nutzen. So politisch wie in diesem Jahr war die Berlinale wohl noch nie. Das erfordert dann aber auch klare Haltung und keinen Eiertanz wie bei der AfD.