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Ukraine-Krise

Zeitenwende

Die Zeit des Redens ist abgelaufen. Für lange Zeit zumindest. Was klingen mag wie das Credo kriegslüsterner Eskalationsfanatiker, ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass mit diesem Wladimir Putin nicht zu reden ist.

Geschrieben von Friedrich Roeingh am . Veröffentlicht in Meinung.
Putin träumt nicht nur von einem großrussischen Reich, sondern sieht sich auch in der Reihe russischer Zaren und Stalins.
Putin träumt nicht nur von einem großrussischen Reich, sondern sieht sich auch in der Reihe russischer Zaren und Stalins.
Foto: Sasha Yudaev

Die Zeit des Redens ist abgelaufen. Für lange Zeit zumindest. Was klingen mag wie das Credo kriegslüsterner Eskalationsfanatiker, ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass mit diesem Wladimir Putin nicht zu reden ist.

Ob man das - wie der niederländische Ministerpräsident es getan hat - wahnsinnig nennen soll, ist nicht erheblich. Der russische Präsident ist nicht nur ein Meister des Täuschens und Tarnens. Er hat in den vergangenen Wochen mehrfach das Gegenteil von dem gemacht, was er in Aussicht gestellt hatte. Dabei ging es freilich nur um Trippelschritte einer diplomatischen Verwirrung: Spricht er nur mit den Amerikanern oder auch den Europäern? Lässt sich Russland noch einmal auf das Normandie-Format ein? Alles Nebelkerzen, die Putin nur als den unumstrittenen Zirkusdirektor eines kriegerischen Spiels bestätigen sollten.

Welche Ziele Putin bei diesem Spiel mit Tod, Not und Elend verfolgt, hat er allerdings von Anfang an offengelegt: Glasklar seine Forderungen an die USA und die Nato, sie mögen sich gefälligst aus den Einflusszonen der ehemaligen Sowjetunion zurückziehen - was nichts weniger ist als die Aufkündigung des OSZE-Prozesses. Glasklar auch seine wiederholte Ansage, der Ukraine das Existenzrecht abzusprechen. Aus dieser Ansage ist ebenso klar abzulesen: Mit der Besetzung der ostukrainischen Gebiete wird Putin nicht halt machen. Man wird bei ihm mit fast allem rechnen müssen, was möglich ist - bis auf eine vollständige Einnahme der Ukraine, die selbst für die russische Armee nicht kontrollierbar wäre.

Ohne Flüchtlingsströme aber wird es Putin gewiss nicht machen. Mit einer kriegerischen Erweiterung der Separatistengebiete ist deshalb als Nächstes zu rechnen. Raketenangriffe auf militärische Einrichtungen im Land und auch in Kiew können ebenso auf Putins Zettel stehen wie Mordanschläge auf Repräsentanten des ukrainischen Staates. Weil Putin offenbar schrittweise vorgeht, mag es richtig sein, die Sanktionen auch schrittweise zu ziehen. Eines ist nach den vergangenen Wochen aber klar: Die denkbar größte Konfrontation mit diesem Russland ist wohl nicht mehr abzuwenden - mit Ausnahme einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung der Nato mit Putins Streitkräften.

Wirtschafts- und Finanzsanktionen werden allein dann Wirkung erzeugen, wenn sie so weitreichend sind, dass sie uns selbst wehtun. Im Gegenzug wird Putin seinen längst begonnenen digitalen Feldzug gegen den Westen ausweiten: Hackerangriffe auf Unternehmen, Regierungen und kritische Infrastruktur gehören zu diesem Instrumentenkasten des Schreckens, Desinformationskampagnen und die Unterstützung antidemokratischer Parteien sowieso. Dabei werden wir nur einen Bruchteil der Leidensfähigkeit des ukrainischen Volkes aufbringen müssen, das nicht den Schutz der Nato genießen kann und - so viel Ehrlichkeit muss sein - wohl niemals genießen wird. Diesen bitteren Erfolg hat Putin mit seiner kriegerischen Politik der erzwungenen Sicherung von Einflusszonen bereits erreicht.

Die Zeiten der Soft Power, mit der sich Europa im Ganzen und Deutschland im Besonderen vor der Gewährleistung seiner eigenen Sicherheit drücken konnte, sind abgelaufen - in militärischer wie in digitaler Hinsicht. Wladimir Putin hat nicht nur einen Krieg in und mit der Ukraine vom Zaum gebrochen. Er ist entschlossen, seine Einflusssphären mit allen Mitteln zu erweitern, die europäische Friedensordnung zu zerbröseln. Der 22.2.2022 steht für einen Zeitenbruch. Einen Zeitenbruch, wie wir ihn mit dem Fall der Mauer im Guten und mit dem 11. September im Schlechten erlebt haben.

Quelle: Allgemeine Zeitung Mainz