Ein bisschen Wehrpflicht wird nicht reichen für Deutschland
Geradezu grotesk wirkte die Idee einer Wehrpflicht in Deutschland nach dem scheinbar erreichten Ende der Geschichte. Wozu junge Männer rekrutieren, die doch anderweitig gebraucht wurden - zumal Deutschland für immer von Freunden umgeben zu sein schien?
Geradezu grotesk wirkte die Idee einer Wehrpflicht in Deutschland nach dem scheinbar erreichten Ende der Geschichte. Wozu junge Männer rekrutieren, die doch anderweitig gebraucht wurden - zumal Deutschland für immer von Freunden umgeben zu sein schien?
Nun, die Geschichte ist nicht zu Ende gegangen, und zu den vielen Freunden ist ein Feind aus längst verdrängter Zeit hinzugetreten: Russland.
Daher sind beide Initiativen gut begründet: diejenige der Union für die Wiedereinführung der von ihr selbst 2011 ausgesetzten allgemeinen Wehrpflicht. Und die des sozialdemokratischen Verteidigungsministers Boris Pistorius, das "schwedische Modell" einzuführen und Nachwuchs durch sanften Druck und Werbung zu gewinnen. Mancher Spott gilt nun dem Versuch, möglichst ohne Zwang Wesentliches zu der von Pistorius völlig zu Recht geforderten Kriegstüchtigkeit beizutragen: die erhebliche Lücke zum Sollbestand einer ernstzunehmenden Bundeswehr zu schließen und auf Dauer deren sogenannte "Aufwuchsfähigkeit" zu sichern.
Was in Schweden klappt, muss in der Tat nicht in Deutschland klappen. In einem Land, in dem es gar nicht wenige chic finden, schon jetzt ein beherztes "Ohne mich" in Richtung einer Armee zu schleudern. Wer so daherredet, weiß wahrscheinlich nicht, dass auch das geänderte Grundgesetz für den Verteidigungsfall einen Zwang zu Hilfsleistungen für das Militär vorsieht.
Ernster zu nehmen ist der Hinweis aus der Truppe selbst: Freiwillig konnte man sich schon immer beim Barras melden. Dass die geplante Fragebogenaktion hier den Schub auslöst, den es braucht, darf bezweifelt werden. Auf bis zu 40.000 solcherart gezogener Rekruten schätzen Fachleute den jährlichen Bedarf; ungefähr jeder Zwanzigste eines Jahrgangs darf sich also gemeint fühlen.
Wer sich bereit erklärt, dem muss klar sein, dass es nicht nur wie früher um die Bestückung einer "Territorialarmee" fern jeden Kriegsgeschehens geht. Der Blick in die vom russischen Krieg überzogene Ukraine lehrt, dass dort Freiwillige für komplexe Kriegführung ausgebildet werden. Und zum Einsatz kommen. So etwas aber kostet Zeit und Geld und ruft in Erinnerung, woran es zur Verwirklichung der Wehrdienst-Pläne abgesehen von den Leuten sonst noch fehlt: an Kasernen, an Ausrüstung, an Ausbildern. Würde diese extrem teure Zeitenwende auch politische Wenden überdauern?
Es muss sein, sagen die Befürworter des Wiedereinstiegs in den Wehrdienst. Schließlich könne sich Deutschland in ein paar Jahren im Krieg mit dem imperialistischen Russland befinden. So schnell aber wird sich die Zeit bei der Bundeswehr nicht wenden, zumal die rechtlichen Hürden unüberwindlich scheinen: Es ist nicht einzusehen, dass nur Männer gefragt sind. Damit wird absehbar gleich der erste mit Zwang verbundene Versuch schon am Allgemeinen Gleichstellungsgesetz scheitern.
Die sogenannte Wehrgerechtigkeit war schon vor 1989 und erst recht vor 2011 ein großes Thema. Sie wird zum Riesenthema, wenn es um einen Krieg geht. Und was passiert eigentlich, wenn einer den Fragebogen einfach nicht ausfüllt? Kommt dann die Papier-Polizei?
Das schwedische Modell kann allenfalls Anstoß sein. "Papier löst keine Probleme", ätzt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Soll der Staatsbürger in Uniform zur Landesverteidigung wiederkehren, braucht es eine echte Wehrpflicht. Und dazu eine Stärkung der Reserve plus attraktivere Arbeitsplätze für Berufssoldaten. Über keins dieser Themen wird im friedensverwöhnten Deutschland gern geredet. Aber Russlands Krieg lehrt: Angenehme Alternativen gibt es nicht.