Scholz zeigt Putin seine Angst
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel hat scharfe Kritik an der Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz geübt. Dessen stete Warnungen vor einer Eskalation seien "außenpolitisch unklug, ja riskant.
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel hat scharfe Kritik an der Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz geübt. Dessen stete Warnungen vor einer Eskalation seien "außenpolitisch unklug, ja riskant.
Scholz zeigt Putin seine Angst", sagte der Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Das fördert das Bild eines schwachen Westens. Genau das hat dazu beigetragen, dass Putin den Krieg überhaupt gewagt hat." Deswegen müsse Scholz "auf eine Sprache der Stärke gegenüber Russland" setzen.
Mit Blick auf die Militärhilfe zog Neitzel eine vernichtende Bilanz: "Wenn sich die Ukraine auf Deutschland und die EU verlassen hätte, wäre sie jetzt russisch. Das muss man schonungslos so aussprechen." Der Anteil deutscher Militärhilfe sei bis Kriegsbeginn am 24. Februar "gleich null" gewesen und laufe "nun doch eher schleppend". Das Überleben der Ukraine hänge von den USA ab.
"Es braucht meines Erachtens mehr Bereitschaft, die Ukraine militärisch auszurüsten, auch wenn das die eigene Verteidigungsfähigkeit vorübergehend etwas schwächen könnte", sagte der einzige Professor mit Lehrstuhl für Militärgeschichte Deutschlands. "Ob Briten, Niederländer, Esten oder Polen: Alle gehen diesen Weg, und deswegen kann sich die Ukraine verteidigen. Dass Berlin nicht willens ist, mehr Panzerhaubitzen zu liefern als die Niederlande, das ist schwach."
An Kiew geliefertes Material würde zwar der Bundeswehr fehlen. Aber die fünf zugesagten Haubitzen "sind gerade in der Ukraine viel sinnvoller eingesetzt, um auch die deutsche Sicherheit zu gewährleisten". Es sei nicht zu erwarten, dass die deutsche Artillerie morgen selbst in die Schlacht ziehen müsse.
"Ich finde, der Bundeskanzler sollte rasch in die Ukraine reisen."
Scholz habe mehrfach gesagt, dass Deutschland ganz fest an der Seite des angegriffenen Landes stehe, sagte Neitzel. "Aber es braucht endlich das Bild zu seinen Worten, es braucht dieses Zeichen." Zwar sei das "nur" ein Fototermin. "Aber das Symbolische ist gerade immens wichtig. Auch wenn alle wissen, dass es um Inszenierung geht, ginge davon eine große Wirkung aus."
Weiterhin hält Neitzel Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe in der Ukraine für abwegig. "Der Wunsch nach Frieden vernebelt vielen den Blick auf die Realität. Meine Befürchtung: Der russisch-ukrainische Krieg wird noch viele Jahre fortdauern." Der Ruf von Bundeskanzler Olaf Scholz nach einer Waffenruhe "sei verständlich, aber Wunschdenken".
Keine Seite sei militärisch so geschwächt, dass sie verhandeln müsse, um eine totale Niederlage abzuwenden. "Eine Waffenruhe könnte Moskau sogar in die Hände spielen. Die russische Kalkulation wird sein, in einer Feuerpause Kraft zu schöpfen und dann wieder anzugreifen", sagte der Professor. Bei einer Waffenruhe würde "in Berlin vielleicht frohlockt, aber ein Ende des militärischen Konfliktes wäre mitnichten in Sicht".
Seine Begründung: Moskaus Truppen würden sich gerade entlang der Landbrücke zur Krim in der Südukraine "eingraben". Um die Front dort zu verschieben "müsste die Ukraine eine Überlegenheit von mindestens 3:1 herstellen, bräuchte auch Luftüberlegenheit, um russische Nachschublinien zu kappen. Das traue ich dem ukrainischen Militär nicht zu."
Im Osten der Ukraine werde Putin alles daransetzen, die beiden Oblaste im Donbass komplett einzunehmen und dann zu halten. "Auch wenn ihm das nicht vollständig gelingen wird, dürfte die Intensität der Kämpfe nachlassen. In einigen Wochen erwarte ich ein Abflauen, dann stehen die Frontverläufe erst mal fest." Putin habe die Landbrücke zur Krim und immerhin 20 Prozent der Ukraine erobert. "Das könnte ihm vorerst ausreichen. Es könnte Putins Strategie sein, den Gegner dann auf die russischen Stellungen anrennen und langsam ausbluten zu lassen."
Neitzel hält sogar "den Abwurf einer taktischen Nuklearwaffe für möglich, wenn Putin die Gefahr sieht, den Donbass an die Ukraine zu verlieren". Der Präsident könne seinem Volk nicht mehr gegenübertreten, wenn er die Oblaste im Osten, die er schon als unabhängig von Kiew anerkannt habe, verliert. Lediglich China könne Putin warnen, beim Einsatz einer Nuklearwaffe würde er eine Grenze überschritten und die Peking-Moskau-Allianz zerstört. "Das könnte ihn selbst dann vom Einsatz solch einer Waffe abschrecken, wenn das russische Militär kollabiert."