Umstrittener Cholesterinsenker: Antrag auf Entzug der Lebensmittelzulassung für Unilevers Becel pro.activ gestellt
Berlin - Die Verbraucherorganisation foodwatch hat bei der Europäischen Kommission den Antrag gestellt, der cholesterinsenkenden Margarine Becel pro.activ die Zulassung als Lebensmittel zu entziehen. Grund dafür sind eine Reihe wissenschaftlicher Studien. Diese bringen Produkte, die wie Becel pro.activ hochkonzentriert mit einem speziellen Wirkstoff (Phyto- bzw. Pflanzensterine) versehen sind, mit möglichen Nebenwirkungen in Verbindung.
Berlin - Die Verbraucherorganisation foodwatch hat bei der Europäischen Kommission den Antrag gestellt, der cholesterinsenkenden Margarine Becel pro.activ die Zulassung als Lebensmittel zu entziehen. Grund dafür sind eine Reihe wissenschaftlicher Studien. Diese bringen Produkte, die wie Becel pro.activ hochkonzentriert mit einem speziellen Wirkstoff (Phyto- bzw. Pflanzensterine) versehen sind, mit möglichen Nebenwirkungen in Verbindung.
Auf Betreiben Unilevers hatte die Europäische Kommission "gelben Streichfetten mit Phytosterinzusatz" und damit Becel pro.activ im Jahr 2000 die Zulassung als sogenannte "neuartige Lebensmittel" (novel food) erteilt - und dabei auch auf ihre Sicherheit überprüft. Die europäische Novel-Food-Verordnung macht zur Vorgabe: Neuartige Lebensmittel "dürfen keine Gefahr für die Verbraucher darstellen" (EU VO 258/97, Art. 3 Abs. 1). Zum Zeitpunkt der Zulassung lagen die heute bekannten, kritischen Studien allerdings noch nicht vor. "Die daraus resultierende Risikobewertung steht im Widerspruch zur Novel-Food-Verordnung, nach der ein Risiko für die Gesundheit der Verbraucher ausgeschlossen werden muss", heißt es in dem Antrag auf Aberkennung der Zulassung, den foodwatch am Montag an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis übermittelte.
"Der Stand der Wissenschaft hat sich geändert. Es gibt ernstzunehmende Hinweise auf Nebenwirkungen, die Unilever und die anderen Hersteller nicht ausräumen können. Darauf muss die Europäische Kommission reagieren und den Produkten ihre Zulassung entziehen", forderte Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von foodwatch. "Die Novel-Food-Verordnung ist klar: Ein Lebensmittel darf nicht zugelassen werden, wenn es Zweifel an seiner Sicherheit gibt. Genau dies ist bei Becel pro.activ der Fall."
In den Jahren nach der Lebensmittelzulassung wurden mehrere Studien publiziert, die nahe legen, dass hochkonzentriert zugesetzte Pflanzensterine das verursachen könnten, was sie eigentlich verhindern sollen: Ablagerungen in den Gefäßen und damit ein erhöhtes Risiko auf Herzkrankheiten. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt unter Verweis auf mögliche Gesundheitsrisiken seit 2008, dass der Verzehr von Lebensmitteln mit zugesetzten Pflanzensterinen von gesunden Menschen ohne Cholesterinproblem "ausdrücklich vermieden werden sollte" - zugleich betont das BfR, dass diese Produkte eben "zu einem großen Teil von Personen verzehrt werden, die keinen erhöhten Cholesterinspiegel haben sowie auch von Kindern".
foodwatch wehrt sich zudem presserechtlich gegen eine - nach Auffassung der Verbraucherorganisation nachweislich falsche - Aussage Unilevers, der zufolge es "aus wissenschaftlicher Sicht ... keinen Hinweis" auf Nebenwirkungen bei Becel pro.activ gebe. Nach einer Klage der Verbraucherorganisation wird das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg am heutigen Dienstag ein Urteil in zweiter Instanz fällen (Az 7 U 7/13; Termin zur Urteilsverkündung: Dienstag, 1. September 2015, 10 Uhr im Hanseatischen Oberlandesgericht, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg - Sitzungssaal 210, 1. Stock). Während der mündlichen Verhandlung Ende Juli tendierte der Vorsitzende Richter jedoch dazu, das Unilever-Zitat nicht als belegbare Tatsachenbehauptung einzustufen, sondern als reine "Meinungsäußerung". Als solche wäre sie unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zulässig.
Matthias Wolfschmidt von foodwatch erklärte: "Auch wenn das Presserecht es nicht verhindern kann, dass Unilever Hinweise auf Nebenwirkungen leugnet, sind die entsprechenden Studien in der Welt. Die Europäische Kommission darf an der einmal erteilten Zulassung nicht festhalten, wenn an der Sicherheit der Produkte Zweifel bestehen."
UPDATE: 2015-09-01 10:28
Urteil: Unilever darf Hinweise auf Risiken von Becel pro.activ weiterhin leugnen - foodwatch stellt Antrag auf Entzug der Lebensmittelzulassung für cholesterinsenkende Margarine
Hamburg, 1. September 2015. Nach einem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts darf der Nahrungsmittelkonzern Unilever wissenschaftliche Hinweise auf Risiken seines Cholesterinsenkers Becel pro.activ weiterhin leugnen. Die Richter werteten eine Aussage des Herstellers, derzufolge es bei Becel pro.activ "aus wissenschaftlicher Sicht ... keinen Hinweis" auf Nebenwirkungen gebe, als Meinungsäußerung - damit darf sie unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verbreitet werden (Az 7 U 7/13). Eine Klage der Verbraucherorganisation foodwatch gegen die weitere Verbreitung dieser Aussage wurde in zweiter Instanz abgewiesen, ohne dass die Richter die Sicherheit der Margarine überprüft und bewertet hatten. foodwatch kündigte an, zunächst die Urteilsbegründung abzuwarten, um dann "sehr wahrscheinlich" Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen.
Weil unverändert erhebliche Zweifel an der Sicherheit des Produkts bestehen, beantragte foodwatch zudem bei der Europäischen Kommission, der cholesterinsenkenden Margarine Becel pro.activ die Zulassung als Lebensmittel zu entziehen. Der Antrag wurde an diesem Montag an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis übermittelt.
Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von foodwatch, bezeichnete die Konsequenz aus dem Urteil als inakzeptabel: "Die Verbraucher sind weder vor Gesundheitsrisiken noch vor irreführenden Aussagen geschützt. Wir haben jetzt eine absurde Situation: Unilever darf öffentlich die Meinung vertreten, dass es keinen Hinweis auf Nebenwirkungen von Becel pro.activ gibt - gleichzeitig können wir belegen, dass eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf gesundheitliche Risiken hinweist. Das Presserecht reicht, jedenfalls nach Auffassung des Oberlandesgerichts, nicht aus, um Unilever eine Aussage zu verbieten, die nachweislich falsch und zudem gefährlich ist. Weil der Konzern offensichtlich seiner Verantwortung nicht gerecht wird und seinen Kunden weiterhin gesundheitliche Risiken zumutet, muss die Europäische Kommission reagieren. Der vorsorgende Gesundheitsschutz gebietet es, ein Produkt vom Markt zu nehmen, dessen Sicherheit so sehr in Zweifel steht."
Fakt ist: Unilever kann weder den gesundheitlichen Nutzen noch die Sicherheit von Becel pro.activ belegen. Die französische Lebensmittelsicherheitsbehörde ANSES betonte 2014, es fehle jeder Beweis dafür, dass Lebensmittel mit zugesetzten Pflanzensterinen tatsächlich Herzkrankheiten vorbeugen. Eine Reihe von Studien legt vielmehr nahe, dass die in hoher Konzentration der Margarine zugesetzten Pflanzensterine das verursachen könnten, was sie eigentlich verhindern sollen: Ablagerungen in den Gefäßen und damit ein erhöhtes Risiko auf Herzkrankheiten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte bereits 2008 betont, dass der Verzehr von Lebensmitteln mit zugesetzten Pflanzensterinen von gesunden Menschen ohne Cholesterinproblem "ausdrücklich vermieden werden sollte" und dies mit möglichen Gesundheitsrisiken begründet. Dennoch hatte Unilever unter Verwendung von Zitaten eines Wissenschaftlers im Jahr 2011 behauptet, dass es "aus wissenschaftlicher Sicht ... keinen Hinweis" auf Nebenwirkungen gebe.
Weil das Hanseatische Oberlandesgericht - wie im Jahr 2012 bereits das Landgericht Hamburg in erster Instanz - die Aussage als "Meinungsäußerung" einstufte, scheiterte die Klage von foodwatch: Als Meinung darf das Zitat verbreitet werden, egal ob es wahr ist oder nicht. Hätten die Richter das Zitat als "Tatsachenbehauptung" gewertet, wäre Unilever dagegen in der Belegpflicht gewesen.
foodwatch sieht nun die Europäische Kommission am Zug. Diese hatte auf Betreiben Unilevers im Jahr 2000 "gelben Streichfetten mit Phytosterinzusatz" wie Becel pro.activ die Zulassung als sogenanntes "neuartiges Lebensmittel" (novel food) erteilt und dabei auch auf ihre Sicherheit überprüft. In der europäischen Novel-Food-Verordnung heißt es: Neuartige Lebensmittel "dürfen keine Gefahr für die Verbraucher darstellen" (EU VO 258/97, Art. 3 Abs. 1). Zum Zeitpunkt der Zulassung lagen die heute bekannten, kritischen Studien allerdings noch gar nicht vor. Das Ergebnis der Sicherheitsprüfung ist 15 Jahre alt und bildet nicht den heutigen Stand der Wissenschaft ab. In dem foodwatch-Antrag an die EU-Kommission auf Aberkennung der Zulassung heißt es: "Die daraus resultierende Risikobewertung steht im Widerspruch zur Novel-Food-Verordnung, der zufolge ein Risiko für die Gesundheit der Verbraucher ausgeschlossen werden muss."
An Unilever erneuerte foodwatch die Forderung, das umstrittene Produkt vom Markt zu nehmen. Matthias Wolfschmidt: "Ein solcher Cholesterinsenker sollte allenfalls als Medikament mit arzneimittelrechtlicher Zulassung vermarktet werden, falls Nutzen und Sicherheit irgendwann einmal belegt werden können. Im Supermarktregal hat Becel pro.activ nichts verloren."