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Migrationspolitik in Europa: Nur ein notdürftiges Netz

Das Thema Migration wird zum ersten Mal seit 2015 nicht auf der Tagesordnung stehen, wenn sich die EU-Chefs in zwei Wochen zum Gipfel in Brüssel treffen. Das zeigt: Die Krise von 2015 ist überstanden. Geschafft wurde das allerdings nicht durch kluge gemeinschaftliche Politik, sondern durch ein Netz an Notfallmaßnahmen, das jederzeit zerreißen könnte.

Geschrieben von Daniela Weingärtner am . Veröffentlicht in Themen.
Flüchtlinge bei Skala Sykamineas (Lesbos)
Flüchtlinge bei Skala Sykamineas (Lesbos)
Foto: Ggia / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Das Thema Migration wird zum ersten Mal seit 2015 nicht auf der Tagesordnung stehen, wenn sich die EU-Chefs in zwei Wochen zum Gipfel in Brüssel treffen. Das zeigt: Die Krise von 2015 ist überstanden. Geschafft wurde das allerdings nicht durch kluge gemeinschaftliche Politik, sondern durch ein Netz an Notfallmaßnahmen, das jederzeit zerreißen könnte.

Da sich die Mitgliedsstaaten nicht einig sind, wie sie Migration managen, wem sie Schutz gewähren und wen sie abweisen wollen, haben sie das Problem so weit wie möglich außerhalb ihrer Grenzen verlagert. Auf der Ostroute ist nun die Türkei dafür zuständig, dass die Flüchtenden gar nicht erst Boote besteigen, mit denen sie die griechischen Inseln erreichen könnten. Die Stabilität in Europa hängt damit indirekt vom guten Willen des Autokraten Recip Erdogan ab. In Griechenland stecken seit der Flüchtlingskrise noch immer Tausende unter menschenunwürdigen Bedingungen fest, wie der zuständige Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos jetzt betonte. Trotz Amtshilfe durch EU-Beamte und finanzieller Unterstützung schaffen es die griechischen Behörden nicht, die Asylverfahren abzuschließen, Neuankömmlinge - wie vereinbart - in die Türkei zurückzuschicken und die Bleibenden angemessen unterzubringen.

Auf der zentralen Mittelmeerroute, die noch 2017 am häufigsten genutzt wurde, um über Malta oder Italien nach Europa zu gelangen, sind die Zahlen ebenfalls deutlich rückläufig - von knapp 120 000 Flüchtlingen auf 23 000 im vergangenen Jahr. Doch auch hierfür zeichnen weder Brüssel noch die vereinten Bemühungen der Mitgliedsstaaten verantwortlich. Der Versuch, in Kooperation mit den Herkunftsländern dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht mehr auf den Weg nach Europa machen, zeigt kaum Wirkung. Vielmehr haben die grauenhaften Zustände in libyschen Lagern und die fremdenfeindliche Politik der neuen italienischen Regierung einen abschreckenden Effekt gehabt. Die EU muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zwar die Vorgänge in Libyen verbal verurteilt, gleichzeitig aber weiter mit der berüchtigten libyschen Küstenwache zusammenarbeitet und eigene Überwachungs- und Rettungsmissionen wie Operation Sophia möglichst unauffällig hat einschlafen lassen. Da sich Italien konsequent weigert, gerettete Bootsflüchtlinge an Land zu lassen, gibt es dafür keine Basis mehr.

Auch hier gilt also: Da man sich intern nicht einigen kann, lagert man die unangenehme Arbeit an zweifelhafte Regime in Nachbarstaaten aus. Wenn die, wie derzeit Marokko, nicht mehr mitspielen, schnellen die Zahlen sofort in die Höhe. Das bekommt Spanien zu spüren, wo 2017 knapp 25 000 Migranten landeten, vergangenes Jahr aber mehr als doppelt so viele. Experten erklären das damit, dass einige Länder auf der westafrikanischen Reiseroute keine Visa mehr für die Durchreise verlangen und damit das Geschäft der Schleuser vereinfachen. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die Flüchtlinge Libyen meiden.

Als dritter Faktor kommt hinzu, dass immer mehr Marokkaner ihr Land verlassen wollen und die Regierung ihre Bürger nicht mehr so problemlos aus Spanien zurücknimmt. Europa muss sich in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik unabhängiger von Dritten machen. Eine Grenz- und Küstenwache von 10 000 ständigen Beamten ist dafür natürlich ein guter Schritt. Sie nützt allerdings wenig, wenn es für die Verteilung von Schutzberechtigten keine Regeln gibt und wenn die Aufnahmebedingungen so unterschiedlich sind, dass Deutschland das Traumziel für die meisten bleibt.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung